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Der verbotene Garten

Der verbotene Garten

Titel: Der verbotene Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ami McKay
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ein wenig zu lindern, ging Dr. Sadie zum Skelett, legte sich spaßeshalber einen Arm um die Schulter und rasselte an den Rippen. »Arme Miss Jewett«, seufzte sie und legte den Kopf auf die knochige Schulter. »Dabei bist du die beste Freundin aller Zeiten … Nie muss ich für dich kochen, nie jammerst du, nicht einmal über das Wetter.« Dr. Sadie lächelte mich an und winkte mich zu sich. »Betrachte sie ruhig genauer. Sie beißt nicht.«
    In einer Seite des Schädels klaffte ein scheußliches Loch, doch der Mund grinste breit und zahnig. Ich schloss die Finger um einen langen Armknochen. Er fühlte sich ganz geschmeidig an. Irgendjemand hatte etwas darauf eingraviert und mit Tinte nachgefärbt. So wie du jetzt, war ich einst. Wie ich jetzt bin, wirst du sein. Ich ließ den Knochen los und prüfte ängstlich, ob das Skelett seinen geisterhaften Blick auf mich gerichtet hatte.
    Â»Wenn du möchtest, kannst du heute hier übernachten«, sagte Dr. Sadie, holte ein zusätzliches Kissen aus einer Truhe und zupfte es zurecht. »Miss Everett weiß ja, dass du sicher untergebracht bist.«
    Â»Sehr gern.« Ich war froh, dass ich bei dem entsetzlichen Wetter nicht zurücklaufen musste. Ich trat ans Fenster, sah in den Regen, lauschte, wie er an die Scheibe schlug, und folgte einem Tropfen mit dem Finger.
    Â»Haben Sie Mr. Dink durch Miss Everett kennengelernt?«, fragte ich.

    Â»Nein«, sagte Dr. Sadie. »Es war umgekehrt. Mr. Dink kenne ich seit Jahren.«
    Â»Wirklich?«
    Â»Oh ja, ich kümmere mich schon seit geraumer Zeit um die Gesundheit seiner Schausteller.«
    Ich versuchte mir vorzustellen, wie Dr. Sadie in den Mund des weltgrößten Illusionisten schaute. Das hätte ich wirklich gern gesehen.
    Â»Warum wollten Sie, dass ich Sie heute begleite?«, fragte ich. Dr. Sadie ließ sich in einen Stuhl neben dem Bett fallen und legte die Füße auf einen Bücherstapel. Im Halbdunkel des Zimmers wirkte sie fast mädchenhaft. Auch ihre Stimme klang anders, sanfter, unangestrengter.
    Â»Ich wollte sichergehen, dass es dir gut geht, nach dem Tod deiner Mutter.«
    Â»Hätten Sie nicht einfach fragen können?«, wunderte ich mich laut.
    Â»Auf Worte kann man sich nicht verlassen, wenn man das Herz ergründen will«, sagte sie. »Ich vertraue lieber meinen Beobachtungen.«
    Â»Miss Tully wird bald sterben, oder?«
    Dr. Sadie blickte mir in die Augen. »Ja, Moth, das wird sie.«
    Â»Was fehlt ihr denn?«
    Â»Sie hat eine Krankheit, gegen die es kein Mittel gibt.«
    Miss Tully hatte sich, so erfuhr ich nun, eine der entsetzlichsten Sachen eingefangen, die ein Mensch bekommen konnte. Die Engländer machten die Franzosen dafür verantwortlich, die Franzosen die Italiener, die Deutschen die Spanier. Niemand wusste mit Sicherheit, warum die Krankheit sich verhielt, wie sie sich verhielt, doch sie war wie der Wolf im Schafspelz, und kaum glaubte man, sie wäre endlich fort, flammte sie erneut auf, schlimmer als zuvor. War der Ausschlag abgeklungen, folgten Haarausfall, Muskelschmerzen und ein starkes Hinken. Manch einem fiel sogar die Nase ab. Wenn einen die Krankheit nicht früher oder später tötete, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass man an ihr irre wurde. Wegen des Schreckens, den sie erzeugte, hatte sie gleich eine ganze Reihe von Namen: Lues, Harter Schanker, Morbo gallicus, Lustseuche.

    Dr. Sadie war der Krankheit schon eine Weile auf der Spur, und wenn sie eines sicher wusste, dann, dass Unehrlichkeit die Verbreitung noch am stärksten förderte. War das Leiden, so wie jede Lüge auch, einmal in die Welt gesetzt, ließ es sich nicht mehr aufhalten. Die Krankheit fragte nicht, ob man Baby oder Hure war. Es gab keine Hoffnung.
    Von den Bewohnern der Chrystie Street forderte jede Krankheit einen entsetzlichen Tribut. Bei jeder neuen Typhus- oder Cholerawelle, die über die Slums hereinbrach, mussten die Mütter um ihre Kinder fürchten. Im Hochsommer stapelten sich die gekalkten Särge auf der Pritsche des Totengräbers in Zehnerreihen neben- und übereinander, und wenn sein Wagen fortrollte, stimmten Mütter ihre Totenklage an.
    Könnte ich doch Miss Tully vergessen, und mit ihr jede trauernde Mutter, die ich jemals gesehen hatte! Ich wünschte, mein Vater wäre zu Mama und mir zurückgekommen und hätte endlich wieder Freude in unser Heim gebracht. Ich

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