Der verbotene Garten
Fenster kletterte. »Sie muss ja nicht wissen, dass ich so ausgesprochen schlau bin.«
»Hinterlistige Zicke«, murmelte Cadet noch, dann zog Mae das Fenster zu.
Am nächsten Tag wandte er sich ab, als er mich in der Eingangshalle sah.
Ich blieb stehen und flüsterte: »Es ist nicht deine Schuld, dass Mae abgehauen ist.«
»Hab ichâs doch geahnt«, sagte er und sah mich mit finsterer Miene an.
Da begriff ich, dass er glaubte, ich hätte Mae bei ihrem Plan geholfen. »Aber ich wusste gar nicht, dass sie verschwinden wollte â¦Â«
»Verstehe«, sagte er und drehte mir wieder den Rücken zu.
Ein weiterer Sonntag kam und ging, und obwohl ich während meiner Pflicht im kleinen Salon die Fassung nicht verlor, war Miss Everett noch immer nicht zufrieden.
»Du kannst ruhig traurig dreinschauen oder sogar ein bisschen weinen â manche Männer mögen das nämlich. Aber du musst dir mehr Mühe geben und etwas Bereitwilligkeit zeigen. So wie Mae.«
Wenn sich Mae für den Sonntagmorgen zurechtmachte, flocht sie sich zwei lange Zöpfe und steckte sie als perfekte Kringel an den Ohren fest, band sich hellblaue Schleifchen ins Haar und verwandelte sich in den Inbegriff süÃer Unschuld. »Ich gehe ohne zu zögern da rein«, hatte sie mir einmal gesagt, »und gebe den Männern, was sie sehen wollen.«
Ich hatte sie für eines der schönsten und klügsten Mädchen gehalten, das mir je begegnet war, doch nun, wo sie Cadet, Alice und mich mitten in ihr Doppelspiel hineingezogen hatte, erschien sie mir schon weniger reizend und verständig. Ich wollte nicht so sein wie sie. Und ob die Madame mit ihr wirklich weiterhin zufrieden war? Es hatten zwar einige Herren Interesse an Mae gezeigt und sich mit ihr im Salon getroffen, doch nur einer, ein gewisser Mr. Greely, hatte sie gebeten, ihn ins Theater zu begleiten. Aber danach hatte er sie niemals wieder aufgesucht.
»Mae war ihm zu forsch«, hatte mir Alice in jener Nacht zugeflüstert, als wir uns zum Schlafengehen richteten. Dann hatte sie mir anvertraut, dass sie den Mann in der Eingangshalle gesehen und er daraufhin Miss Everett gefragt hatte, ob er mit Alice ausgehen könne.
»Aber ihre Zeit ist doch gekommen?« Ich wünschte, Mae würde endlich aus unserem Zimmer ausziehen und zur Vollzeithure werden. Da konnte sie ihre Forschheit entfalten, ohne uns zu schaden.
»Miss Everett wartet wohl noch auf das beste Angebot«, sagte Alice.
»Ja, vermutlich.«
Als sich Alice zum Abendgebet auf ein Kissen kniete, sagte sie: »Ich warte gern, bis Mae weiterkommt. Je mehr Zeit Miss Everett benötigt, den passenden Herrn für sie zu finden, umso mehr hat Gott, mir den rechten Mann zu schicken.«
XXII
A ls Vorbereitung auf den ersten Theaterbesuch mit einem Gentleman musste jedes Mädchen einen Abend mit Miss Everett in Dinkâs Palast der Illusionen gehen. Alice war eine baldige Einladung von Mr. Greely so gut wie sicher, daher wurde ihr eine Abendrobe geschneidert und beigebracht, eine Kutsche mit Anmut und Würde zu besteigen und wieder zu verlassen.
Zu meinem groÃen Erstaunen wurde ich derselben Prozedur unterzogen. »Einladungen gibt es viele und Schneiderinnen um diese Jahreszeit wenige«, sagte Miss Everett. »Mir ist lieber, du stehst bereit. Nicht, dass es dich unerwartet trifft.«
Alice schwebte in ihrer zarten, kanariengelben Robe so selbstverständlich durch unser Zimmer, als wäre sie für Seide und Juwelen geboren. Ich hingegen war mit meinem Kleid ein wenig überfordert. Es war eine wunderschöne Kreation aus blassrosa Spitze, mit Bändern und Rosen besetzt, aber auch mit einer sehr hinderlichen Schleppe. Die Rüschen fegten hinter meinem Rücken hin und her â das Ding war ausgesprochen eigenwillig.
Rose genoss einen seltenen Abend ohne Mr. Polizeichef und hatte angeboten, mir und Alice beim Ankleiden zu helfen. »Du musst in deiner Schleppe gewissermaÃen ein kleines Hündchen sehen«, riet sie mir und zeigte, wie man den Stoff beim Sitzen beiseiteschob. »Behandle sie mit Zuneigung und ohne Verdruss, dann bringt sie dich auch nicht zum Stolpern.«
Ich strich die Spitze glatt und hoffte, dass sie recht hatte.
Obwohl das Theater nur einen kurzen FuÃmarsch entfernt lag, bestand Miss Everett darauf, dass wir eine Kutsche nahmen. Cadet, der Anzug sauber, das Haar geölt, begleitete uns. Als er
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