Der verbotene Garten
sich neben mich in die Kutsche setzte, drohte er fast in den Röcken meiner Abendrobe zu ertrinken, und ich entschuldigte mich dafür, so viel Platz einzunehmen.
»Hör mit dem Blödsinn auf«, schimpfte Miss Everett, nachdem ich Cadet zum dritten Mal gesagt hatte, dass es mir leidtue. »Schönheit muss sich nicht entschuldigen.«
Alice, auf der Bank mir gegenüber, legte die Hand auf den Mund und unterdrückte ein Lachen. Cadet schaute aus seinem Fenster. Und so schaute ich aus meinem.
Die nächtliche Bowery bot einen wundervollen Anblick. Miss Everett war wohl derselben Meinung, denn sie bat den Kutscher, die Avenue ein groÃes Stück hinauf und erst dann zum Theater zu fahren. An allen Pferdewagen schaukelten vorn und hinten Lampen, die StraÃe selbst war von strahlenden Lichtern gesäumt. Vor nahezu jedem Geschäft, besonders, wenn es abendliche Unterhaltung bot, hing eine farbige Glaslaterne und lockte die Passanten mit ihrem Regenbogenmuster.
Der Palast der Illusionen ragte zwischen den Dampfwolken empor, die von den Bürgersteigen aufstiegen, so als wollte er sich selbst jeden Augenblick in die Luft erheben. Gemeinsam mit dem benachbarten Museum nahm das Gebäude den gröÃten Teil der StraÃe ein, bis zur Ecke Houston Street.
Im Museum, so hieà es, befanden sich wunderliche Dinge und Kuriositäten aus der ganzen Welt, doch das Theater war nicht minder seltsam. Dorthin ging, wer Mr. Dinks Truppe sehen wollte, eine Versammlung sonderbarer Gestalten, die er mit groÃem Aufwand um sich scharte. Alice war die Vorstellung, dass ein Mann ohne Beine auf den Händen laufen und dabei Gedichte rezitieren oder eine fette Dame Stephen-Foster-Lieder singen sollte, unbehaglich. Um sie zu beruhigen, erzählte ich ihr von den beiden Männern aus der Chrystie Street, die keine Beine, sondern nur Stumpen gehabt hatten und nicht minder Gentlemen gewesen waren als jeder andere Mann mit gesunden Beinen auch.
Cadet half mir aus der Kutsche. Dabei bemerkte ich einen Mann, der Cadet kaum bis zur Brust gereicht hätte und neben dem Theatereingang auf einem Stapel Kisten stand. Zu seinen FüÃen verkündete ein Schild: DER UNVERGLEICHLICHE MR. DINK! Er trug einen Zylinder, der fast ebenso groà wie er selbst war, und fuchtelte mit einem langen dunklen Gehstock herum, der ständig von der einen in die andere Hand wechselte, bald hierhin und bald dorthin wies.
»Treten Sie näher!«, krächzte er lauthals über den StraÃenlärm hinweg.
Dann trommelte er mit dem Stock auf eine Kiste. »Bestaunen Sie die Zauberkunst Magnificos! Erschaudern Sie vor dem Feuertanz unserer Lady Mephistopheles! Bewundern Sie die schöne Suzie Lowe! Alles hier, alles jetzt, alles unter einem Dach! Kommen Sie, kaufen Sie Ihr Ticket, es gibt nur eine Schau HEUT ABEND !«
Als ein junger Mann neugierig näher trat, schob Mr. Dink ihn gleich mit dem Stock in Richtung Tür. »So istâs recht, Meister, gehen Sie zum Schalter dort, zur Dame unseres Hauses, der sonderbaren, wunderbaren Eva Ivan. Vorführung und Museum nur ein Vierteldollar! Kuriositäten und Monstrositäten! Zweitausend Modelle des menschlichen Körpers â sowohl gesund als auch krank â im Wert von über zwanzigtausend Dollar!«
Wieder in Richtung StraÃe gewandt, rief er: »Nur eine Schau heut Abend, meine Freunde, eine Schau! Und nirgendwo in dieser groÃen Stadt, exklusiv hier, hier bei Dinkâs, sehen Sie die berückenden Damen der Tableaux vivants!«
Alice war mitten auf dem Bürgersteig stehengeblieben und starrte den kleinen Mann mit offenem Mund an.
»Komm schon«, wies Miss Everett sie zurecht, zog sie am Arm und führte uns durch die beeindruckenden Türen hindurch.
Das Theater war vom Boden bis zur Decke in Rot getaucht, von der beflockten Tapete bis zum schweren, quastengesäumten Bühnenvorhang. Aus allen Ecken und Winkeln lugte es golden hervor â unter der Decke lauerten Schlangen, Vögel und Kobolde, sie verbargen sich hinter Säulen und Türen.
Die Zuschauermenge war bunt gemischt, neben Arbeitern im Sonntagsstaat saÃen blasierte Dandys in Streifenhose und heller Weste. Ein junges Mädchen am Arm seiner Mutter schaute neidvoll auf mein Kleid, als ich vorüberging.
Lass dich nicht täuschen , dachte ich. Ich bin bloà ein Mädchen, so wie du.
Cadet führte uns in den dritten Rang und half uns der Reihe
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