Der verbotene Garten
nach in die bequemen Stühle einer privaten Loge, die Miss Everett gemietet hatte â erst kam die Madame, dann Alice, dann ich.
Ich holte die Operngläser, die mir Rose geliehen hatte, hervor und schaute ringsumher. »Sieh dir alles an, solange du kannst«, hatte sie geflachst. »Später einmal wirst du zu beschäftigt sein.«
Ich entdeckte Missouri und Mae in einer Loge uns gleich gegenüber, in Begleitung zweier Herren. Für Mae sollte dies der letzte, unverbindliche Theaterbesuch mit einem Mann sein. Beim nächsten Mal musste sie mit ihm ins Bett gehen. Sie wirkte kein bisschen aufgeregt. Sie winkte der Menge unter ihr zu, als würde sie jeden dort kennen, und beugte sich so weit über das Geländer, dass ich fürchtete, sie würde stürzen.
»Seht mal, dort«, sagte Miss Everett und wies auf die Loge darunter. »Das ist die Baroness.«
»Die Baroness?«, wiederholte Alice und blinzelte durch ihr Opernglas.
»Die Baroness de Battue«, sagte Miss Everett. »Schaut sie nicht wundervoll aus?«
Noch nie hatte ich Miss Everett so voller Ehrfurcht erlebt.
Als sie sich über die üppige scharlachrote Robe der Baroness auslieà und dann versuchte, die Rubine und Diamanten zu zählen, die in ihrem Diadem funkelten, musste ich mir das Lachen mühevoll verkneifen. SchlieÃlich kannte ich die Baroness noch als Francine Grossman aus der Chrystie Street.
Bald darauf trat Mr. Dink vor den Vorhang. Er schlug mit seinem Stock drei Mal auf den Boden, dann schmetterte die Kapelle im Orchestergraben ein recht flottes »Tenting Tonight«. Mr. Dink verkündete über die Musik hinweg: »Für alle Soldaten, tot oder lebendig!« Dann forderte er das Publikum auf, mitzusingen. Er hob den Stock, fuchtelte wie ein Dirigent damit herum und führte unsere stolzen, lauten Stimmen durch die Musik.
Oft hatte ich Mrs. Wentworth diese traurigen Verse als Schlaflied vorgesungen. Wer immer der Verfasser war, hatte sich groÃe Mühe gegeben, exquisit grausam zu sein, indem er so herzzerreiÃende Worte zu einer so schwungvollen, fröhlichen Melodie geschrieben hatte.
The lone wife kneels and prays with a sigh
That God his watch will keep
Oâer the dear one away and the little dears nigh,
In the trundle bed fast asleep.
Tenting tonight, tenting tonight,
tenting on the old campground,
Many are the hearts that are weary tonight,
Wishing that the war would cease.
Many are the souls that will die without light
Before the dawn of peace.
(Einsam kniet, ihr Gebet sie spricht,
Auf dass der Herrgott hütâ und wacht,
Ãber dem Liebsten so fern, den Kleinen so nah,
Im tiefen Schlaf der Nacht.
Im Lager heut Nacht, im Lager heut Nacht,
in unsârer Lagerstatt,
So viele Herzen schwer von Pflicht,
Ersehnân ein End von Krieg und Front.
So viele Seelen vergehân ohne Licht,
Ehâ Frieden dräut am Horizont.)
Als das Lied verklungen war, brandete Applaus auf. Mr. Dink blieb auf der Bühne stehen und badete darin, mit stolzgeschwellter Brust und leuchtenden Augen.
Dann rief er die Darsteller in rascher Folge auf die Bühne â einen dünnen Mann, der Teller auf Stäben kreisen, eine dicke Frau, die Hunde durch Reifen springen lieÃ, drei junge Mädchen aus Fernost, die die Beine hinter dem Kopf verknoten und auf den Händen laufen konnten. Sie trippelten herum wie Krebse. Ein Schwung mit dem Stock, und Mr. Dinks Theater erstrahlte, ein Schwung mit dem Stock, und Publikum und Darsteller waren gleichermaÃen gebannt.
Nach dem Auftritt des Illusionisten, des langbeinigen Magnifico, der Kaninchen, Tauben und eine bildschöne Albinofrau verschwinden lieÃ, kam Mr. Dink noch einmal auf die Bühne. Er räusperte sich und sagte: »Heute Abend begrüÃe ich eine Darstellerin, die ebenso versiert, aber, so darf ich wohl sagen, bei Weitem anmutiger als unser geschätzter Zauberkünstler ist. Nach Engagements in London und Paris kommt sie nun direkt zu uns in den Palast der Illusionen und ist zweifellos die wunderbarste Darstellerin â des Exotischen â, die New York je gesehen hat!«
Gewaltiger Jubel brach aus, und Mr. Dink hob die Hand, um das Publikum zu beschwichtigen. Dann verkündete er mit gesenkter Stimme: »Meine Damen und Herren, allerdings warne ich Sie ⦠Erschrecken Sie nicht vor der Gewandung dieser Dame. Ich kann Ihnen versichern, ihr gefahrvolles Talent erfordert es
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