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Der verbotene Kuss

Der verbotene Kuss

Titel: Der verbotene Kuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laini Taylor
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Diamanten hatten sie auf dem Schiff in Marseille verloren, aber Yazad schenkte ihnen neue. Schon immer war er es gewesen, der sie ihnen geschickt hatte. Er überredete Esmé, eine kleine Privatschule in ihrem Viertel zu besuchen, und so verbrachte sie von da an ihre Tage mit anderen Mädchen. Zunächst war sie schüchtern, aber die anderen erwiesen sich als ebenso schüchtern und zudem als Leseratten, und zum ersten Mal in ihrem Leben schloss Esmé Freundschaft. Man fand heraus, was für eine begabte Violinistin sie war, deren Fähigkeiten weit über die ihrer Musiklehrerin hinausgingen, weshalb sie Privatunterricht erhielt. Sie ging mit den anderen Mädchen zum Tee und zu einer Geburtstagsparty. Sie brachte der Gastgeberin ein hübsch verpacktes Geschenk mit, aß ein Stück Kuchen und tanzte sogar mit einem Jungen – aber nur einmal. Ihr gefiel es nicht, wie seine Hände schwer auf ihrer Taille lagen. Aber dadurch dachte sie an eine andere Berührung, eine leichte, verstohlene: An den Blumenjungen, der ihren Zopf angefasst hatte, wenn er hinter ihr in der Schlange beim Bäcker stand. Das schien ihr eine Ewigkeit zurückzuliegen. Bei der Erinnerung verzog sie die Lippen zu einem heimlichen Lächeln, und sie löste sich abrupt von ihrem Tanzpartner und zog sich zurück.
    Einige Tage später betrat sie auf dem Heimweg den Laden, um Blumen für ihre Mutter zu kaufen. Der Junge stand hinter dem Tresen und errötete, als er sie sah. Er war blond und hatte blaue Augen, aber blau wie das tiefe Meer, nicht eisig blau wie die der Druj. Und er war hellhäutig, hatte lange Wimpern und rosige Wangen, als hätten ihm Tanten und Großmütter immer und immer wieder hineingekniffen, bis sie die Farbe behielten. Er stotterte, während er Esmé half, einen Strauß aus den Eimern zusammenzustellen.
    »Kosmeen?«, fragte er.
    Sie nickte und fügte hinzu: »Und vielleicht ein paar Lilien.«
    »Wie wäre es mit Lupinen?«, schlug er vor und hielt eine blaue Blütendolde in die Höhe.
    Ihnen fiel nichts anderes zu sagen ein außer Blumennamen, und es schien eine ganz eigene Sprache zu sein. Chrysanthemen, Zinnien, Rittersporn und dazu ein Zweig Schleierkraut.
    Als sie ihm das Geld reichte, platzte Esmé mit ihrem Namen heraus und biss sich auf die Unterlippe.
    »Ich heiße Tom«, antwortete der Junge und wurde wieder rot.
    Und das war alles. Esmé drückte sich ihre Blumen vor die Brust, eilte hinaus, und ihr Zopf schwang in ihrem Rücken hin und her, aber als sie die Ecke erreichte, lächelte sie. Vielleicht würde sie ihrer Mutter nächste Woche wieder Blumen kaufen.
    Was sie auch tat.
    Die Tage zogen dahin. Esmé dachte häufig an die Asche uralter Seelen, die um die Welt geweht wurde und sich mit der Asche von Waldbränden, dem Staub von Wüsten und den Pollen und Knochen vermischte. Der Schmerz, den die Trennung in ihr verursacht hatte, ließ mit der Zeit nach. Sie füllte die Leere mit Musik, Schularbeiten und Freunden, mit Besuchen im Ballett zusammen mit ihrer Mutter und mit Spaziergängen im St. James’s Park, die sie mit Tom unternahm.
    Beim ersten Mal hatte er die Einladung durch einen Blumenstrauß aus orangefarbenen Rosen stotternd hervorgebracht, und Esmé hatte beinahe im Flüsterton geantwortet: »Ja, gut«, und den Blick nicht von den Blüten gewandt. Am nächsten Morgen hatte sie ihren Mantel bis zum Kinn zugeknöpft und ihn getroffen, und sie waren den Birdcage Walk in Westminster entlanggegangen und hatten die Hände tief in die Taschen gestopft. Die Kälte hatte ihnen die Nasen rot gefärbt. Sie waren am Horse Guards Parade stehen geblieben und hatten den stolzierenden Soldaten in den roten Jacken beim Exerzieren zugeschaut.
    »Früher wollte ich einer von ihnen werden«, hatte Tom gestanden. »Ich habe sogar mit ihnen Marschieren geübt. Ich wusste nicht, dass sie richtige Soldaten sind, die in den Krieg ziehen. Mir ging es nur um die Mütze.«
    »Für die Mütze bringen sie Bären um«, hatte Esmé gesagt.
    »Ich weiß«, hatte er erwidert und rasch hinzugefügt: »Heute will ich keiner mehr werden.«
    Sie hatten sich von den Soldaten abgewandt und waren in den Park gegangen. Tom hatte ein Stück Brot aus seiner Tasche geholt, und sie hatten die Enten gefüttert und zugeschaut, wie die berühmten Pelikane durch das grüne Wasser des Sees kreuzten wie eine Flotte kleiner Schiffe. Sie waren nebeneinander gegangen, hatten nach vorn geschaut und nur von Zeit zu Zeit gewagt, sich kurze Blicke zuzuwerfen. Esmé war die

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