Der verbotene Kuss
imstande ist, Wahrheit von Lügen zu unterscheiden. Lord X ist ein solcher Mensch.
Lady Brumley in einer Anzeige IN DER EVENING GAZETTE vom 23. Dezember 1820
Ian hörte, während er hellwach in Felicitys Bett lag, eine Uhr anschlagen. Schon zwei Uhr morgens. Es war Zeit, Felicity zu wecken, aber nicht, um noch einmal mit ihr zu schlafen. Er hätte sogar nicht zwei Mal mit ihr schlafen dürfen, da er sie beim ersten Mal entjungfert hatte.
Falls er ihr jedoch beim zweiten Mal wehgetan hatte, so war es ihr sehr gut gelungen, das zu verbergen. Er hätte nie gedacht, eine Frau, die so feste Moralvorstellungen hatte, könne sich im Bett so leidenschaftlich aufführen.
Er musste fort, solange es noch dunkel war und keine Menschen die Straße bevölkerten. Dennoch konnte er den Gedanken nicht ertragen, Felicitys friedlichen Schlaf zu stören. Mit dem Erwachen kam zweifellos die Reue. Sie würde sich die Schuld geben, ganz gleich, wie nachdrücklich er ihr Vorhalten mochte, das Ganze sei unausweichlich gewesen.
Und dann würde sie ihm die Schuld geben.
Er verzog das Gesicht. Nun, er hatte Jahre vor sich, in denen er Wiedergutmachung leisten konnte.
Schritte waren im Gang zu hören, und sogleich erstarrte Ian innerlich. Wer war zu dieser Stunde schon auf den Beinen? Einer von den Jungen? Verdammt noch mal, Felicity würde in tödliche Verlegenheit geraten, wenn einer ihrer Brüder sie mit ihm im Bett antraf. Die Schritte hielten vor der Schlafzimmertür an, und er stöhnte auf. Er neigte sich zu Felicity und raunte ihr ins Ohr: „Wach auf, querida. Du musst aufwachen.“
„Hm?“ Jemand klopfte leise an die Tür.
Danach hörte Ian die Stimme der Haushälterin, die fragte: „Sind Sie da, Miss Taylor?“ Es wurde an der Klinke gerüttelt, und Ian beglückwünschte sich zu der Voraussicht, die Tür abgeschlossen zu haben.
„Miss Taylor! “ sagte Mrs. Box lauter und klopfte drei Mal hart an die Tür.
Jäh richtete Felicity sich auf. In der Dunkelheit war ihre Miene nicht zu erkennen. Zuerst schaute sie auf Ian, dann zur Tür, dann wieder ihn an. Er konnte sich vorstellen, was sie dachte, erst recht, als sie die Bettdecke hochriss, um ihre Blöße zu bedecken. Sie wollte etwas äußern, doch er schüttelte den Kopf.
„Ich weiß, dass Sie da sind, Miss Taylor. Wachen Sie auf! Es ist wichtig!“ Ian hörte Schlüssel klirren und stöhnte auf.
Felicity sprang aus dem Bett. „Ich komme schon, Mrs. Box! “ Sie bedeutete Ian zu bleiben, wo er war, und zog das Unterhemd an. „Was gibt es? Ist etwas nicht in Ordnung? Handelt es sich um einen meiner Brüder?“
„Dieser grässliche Mr. Hodges ist wieder da“, antwortete Mrs. Box. „Er ist betrunken. Er sagt, er habe den Treuhänder Ihres Vaters in einer Kneipe getroffen und die Wahrheit herausgefunden. “
„Warten Sie! Ich komme zu Ihnen! “ Felicity zog eilig den weiten Morgenmantel an und band den Gürtel zu. Dann huschte sie in den Korridor und achtete dabei darauf, dass Mrs. Box nicht ins Zimmer schauen konnte.
„Was will der Fleischhändler hier um diese Zeit?“ hörte Ian sie fragen, ehe sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.
Schnell verließ er das Bett und zündete eine Kerze an. Er versuchte, etwas von der Unterhaltung zu verstehen, während er sich anzog, doch die Stimmen entfernten sich zur Treppe hin. Fluchend zog er Hose, Schuhe und Hemd an. Dann nahm er Jacke und Weste an sich und ging leise in den Korridor.
Aus dem Parterre drangen Stimmen herauf. Eine gehörte zu einem Mann, der hörbar betrunken war. „Also Miss Taylor. Ich will mein Geld haben. “
„Sprechen Sie leiser“, drängte Felicity ihn. „Oder wollen Sie das ganze Haus aufwecken?“
„Ja, wenn ich dadurch zu meinem Geld komme. Es ist mir gleich, ob ich Ihre Brüder aufwecke, diese Teufel, diese schrecklichen . . .“
Ian ging zur Treppe und lugte über das obere Geländer. Mr. Hodges stand schwankend mitten im schlecht beleuchteten Vestibül. Mrs. Box stand zwischen ihm und der Treppe, Ian den Rücken zuwendend, und hatte die Hände auf die prallen Hüften gestemmt.
Einige Schritte von ihr entfernt sah Ian Felicity, die sichtlich aufgeregt war und den Morgenmantel am Hals zusammenhielt. „Sie bekommen Ihr Geld, sobald ich es habe.“ „Ha! Sie bekommen gar nichts, und das wissen Sie genau. Ich habe heute Abend Ihren Vermögensverwalter in der Schenke getroffen und ihn befragt. Er hat mir die Wahrheit erzählt, weil er betrunken war. Das Einzige, was Ihr Papa Ihnen
Weitere Kostenlose Bücher