Der verbotene Kuss
nicht, was schlimmer war, die Geschichte, die Felicity gehört hatte, oder die Wahrheit. Weder das eine noch das andere ließ ihn in gutem Licht erscheinen.
Er brauchte mehr Informationen. „Diesmal hast du dich wirklich übertroffen. Woher kennst du diese Geschichte? Ich bezweifele, dass nicht einmal Lady Bramley so fantasievoll ist, um etwas Derartiges zu erfinden. “
„Sie hat sie mir erzählt. Sie hat sie von einem Dienstboten deines Onkels gehört. Offenbar verabscheut sie deinen Onkel. Daher versucht sie, alles über ihn in Erfahrung zu bringen. Den Grand dafür kenne ich nicht.“
„Mein Onkel hat sie vor fünfundzwanzig. Jahren sitzen gelassen. Nachdem er erfahren hatte, dass ihr Vater nicht so reich ist, wie er dachte, hat er sie vor dem Traualtar stehen gelassen. Danach blieb ihr nichts anderes übrig, als den alten Bramley zu heiraten. Das hat sie meinem Onkel nie verziehen. Verargen kann ich ihr das nicht, aber du begreifst doch bestimmt, dass sie diese Geschichte nur erfunden hat, um ihm eins auszuwischen. Auf diese Weise steht er wie ein Trottel und gehörnter Ehemann da. “
„Sie hat mir diese Geschichte erzählt, weil dein Onkel mir eine viel schlimmere berichtet hatte.“
Das Blut wich Ian aus dem Gesicht. „Mein Onkel?“
„Er hat mich beim Ball belästigt und mir erzählt, du hättest seine Frau vergewaltigt, die sich daraufhin aus Scham umgebracht hat.“
Ian sank in den ihm am nächsten stehenden Sessel und starrte leeren Blicks vor sich hin. Zur Hölle mit Onkel Edgar und seinen Lügen! „Ich vermute, du hast ihm geglaubt!“ „Nein! Natürlich nicht!“ Felicity ging zu Ian und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ich weiß aus Erfahrung, dass du einer Frau nie Gewalt antun wirst. Ich habe die ganze Geschichte sehr verdächtig gefunden, noch ehe Lady Brumley mir bestätigte, dass dein Onkel lügt. Aber sie hat mir ihre nicht erzählt, um sich an ihm zu rächen. Sie versuchte, mir zu helfen. Sie ahnte, dass du an mir interessiert bist, und wollte mir dein Wesen vor Augen führen.“
„Ich verstehe.“ Ian schüttelte Felicitys Hand ab und stand auf. „Lady Brumley wollte dir vor Augen führen, dass ich ein Ehebrecher bin.“ Mein Gott, das war ein Albtraum! Beide Geschichten waren schrecklich. Aber die Wahrheit war so furchtbar, dass er nicht darüber reden konnte, vor allem nicht mit Felicity.
„Dann ist auch das eine Lüge?“ flüsterte sie.
Ja, doch das konnte er nicht laut eingestehen, denn dann würde sie die Wahrheit wissen wollen. „Offensichtlich bist du davon überzeugt, dass ich mit meiner Tante geschlafen und sie dann im Stich gelassen habe.“ Ein schrecklicher Gedanke kam Ian. Er starrte Felicity an. „Und wir haben uns heute Nacht geliebt, obwohl du dachtest. . .“
„Wir haben uns geliebt, weil ich diese Geschichte nicht glauben wollte. Ich glaube sie noch immer nicht.“ Felicitys Stimme hatte gebebt, und plötzlich erkannte Ian den Schmerz, den zu verbergen ihr bisher so gut gelungen war. „Aber ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Alle Leute stellen Mutmaßungen über dein Leben an und bombardieren mich täglich mit neuen Geschichten über den gefährlichen Lord St. Clair. Und du erwartest von mir, obwohl ich dich kaum einen Monat kenne, dass ich unter all diesen Lügen die Wahrheit herausfinde, während du den tragischen Helden mimst und über alles Schweigen bewahrst?“
Die logische Argumentation machte alles nur noch schlimmer. „Du bist dafür bekannt, dass du Lügen über mich geschrieben hast, und trotzdem wunderst du dich darüber, warum ich Schweigen bewahre? Oh, das ist köstlich!“ Wütend sah Felicity Ian an. „Das ist nur ein Vorwand.
Das weißt du genau. Habe ich dich in der letzten Woche in meinen Artikeln erwähnt? Habe ich auch nur ein Wort über dich und die von dir umworbenen Damen geschrieben, während du jede für dich in Frage kommende Frau abgeknutscht hast?“
„Abgeknutscht! Verdammt, Felicity! Ich begreife, warum du darauf bestehst, über meine Vergangenheit Bescheid zu wissen. Du bist eifersüchtig auf die Frauen, mit denen ich nicht einmal ins Bett gegangen bin. Im Hinblick auf all die Frauen, mit denen ich deiner Meinung nach zusammen gewesen bin, ist es ein Wunder, dass ich noch die Zeit gefunden habe, im Krieg zu kämpfen oder Chesterley zu leiten. Ich rede von meiner Tante, von unzähligen Spanierinnen, von Kaiserin Josephine, von all den Engländerinnen, mit denen ich in den letzten drei Jahren
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