Der verbotene Ort
wo es doch sechzig Millionen davon in Frankreich gibt.«
»Hundertzwanzig Millionen. Sechzig Millionen Menschen, folglich hundertzwanzig Millionen Füße. Sie machen denselben Fehler wie Estalère, nur umgekehrt.«
»Aber warum war Ihr Onkel in Serbien?«
»Weil er Serbe war, Kommissar. Er hieß Slavko Moldovan.«
Justin kam auf Adamsberg zugerannt.
»Da draußen ist ein Typ, der besteht auf Erklärungen. Wir haben die Flatterleinen schon abgebaut, er lässt nicht mit sich reden, er will rein ins Haus.«
11
Die beiden Lieutenants Noël und Voisenet standen mit dem Gesicht zueinander und versperrten jeder mit einem Arm die Türöffnung, eine doppelte Barriere bildend, durch die sich der Mann kaum einschüchtern ließ.
»Nichts beweist mir, dass Sie Polizisten sind«, wiederholte er. »Nichts beweist mir, dass Sie keine Einbrecher, keine Diebe sind. Sie vor allem«, meinte er und wies auf Noël mit seinem nahezu glattrasierten Schädel. »Ich habe hier eine Verabredung um siebzehn Uhr dreißig, ich lege Wert auf Pünktlichkeit.«
»Die Verabredung ist nirgends zu sehen«, sagte Noël, seine unangenehme Spottlust hervorkehrend.
»Zeigen Sie mir Ihre Ausweise. Sie können mir ja sonst was erzählen.«
»Wir haben es Ihnen doch schon erklärt«, sagte Voisenet. »Unsere Ausweise sind in unseren Jacken, unsere Jacken sind im Haus, und wenn wir unseren Posten an dieser Tür verlassen, kommen Sie herein. Aber alles hier im Umkreis ist gesperrt.«
»Selbstverständlich komme ich rein.«
»Dann brauchen wir nicht weiter zu verhandeln.«
Der Mann, so schätzte Adamsberg, als er auf die Gruppe zuging, war entweder schwer von Begriff oder sehr mutig für seine mittlere Statur und seinen feisten Körper. Denn wenn er meinte, es mit Einbrechern zu tun zu haben, wäre es das Klügste für ihn, nicht lange zu diskutieren und abzuhauen. Aber der Typ hatte etwas Professionelles, Würdevolles und Selbstsicheres, er trug die ein wenig steife Miene des Pflichtmenschen zur Schau, auf jeden Fall eines Menschen, der entschlossen ist, seine Arbeit zu tun, was immer auch geschieht, vorausgesetzt, sein Ansehen nimmt dabei keinen Schaden. Kunsthändler? Jurist? Bankier? Seinem energischen Bemühen, die Arme der beiden Bullen wegzuschieben, haftete außerdem ein eindeutiger Standesdünkel an. Er gehörte nicht zu denen, die sich vertreiben ließen, schon gar nicht von zwei Kerlen wie Noël und Voisenet. Mit ihnen zu verhandeln war unter seinem Niveau, und vielleicht war es diese gesellschaftliche Überzeugung, dieser tief verinnerlichte Kastengeist, der ihm einen Mut an der Grenze zum Leichtsinn gab. Von Untergebenen hatte er nichts zu befürchten. Sah man von dieser Haltung einmal ab, musste sein verschmitztes, altväterliches Gesicht in entspannter Atmosphäre sogar sympathisch sein. Adamsberg legte seine Hände auf die Barriere der beiden plebejischen Unterarme und grüßte ihn.
»Sollte ich es hier tatsächlich mit der Polizei zu tun haben«, sagte der Mann, »so verlasse ich diesen Ort nicht, bevor ich nicht Ihren Vorgesetzten gesprochen habe.«
»Ich bin der Vorgesetzte. Kommissar Adamsberg.«
Dieses Erstaunen, diese Enttäuschung, Adamsberg hatte sie schon viele Male in vielen Gesichtern gelesen. Wie auch die sofortige Unterwerfung unter den Dienstgrad, wer immer sein seltsamer Träger war.
»Enchanté, Kommissar«, entgegnete der Mann und reichte ihm über die Arme der Lieutenants hinweg die Hand. »Paul de Josselin. Ich bin der Arzt von Monsieur Vaudel.«
Zu spät, dachte Adamsberg, während er Josselins Hand drückte.
»Es tut mir sehr leid, Doktor, aber Monsieur Vaudel ist nicht zu sehen.«
»Das habe ich schon verstanden. Aber als sein Arzt habe ich das Recht und die Pflicht, informiert zu werden, nicht wahr? Ist er krank? Verstorben? Ins Krankenhaus eingeliefert?«
»Tot.«
»Zu Hause also. Sonst hätten wir ja hier nicht dieses ganze Polizeiaufgebot.«
»Genau, Doktor.«
»Wann? Wie? Ich habe ihn erst vor vierzehn Tagen untersucht, alle Kontrollwerte waren im grünen Bereich.«
»Die Polizei darf keine Informationen nach außen geben. Das ist Vorschrift in einem Mordfall.«
Der Arzt runzelte die Stirn, es schien, als murmelte er leise das Wort »Mordfall«. Adamsberg wurde sich bewusst, dass sie noch immer über die Arme hinweg miteinander sprachen, wie zwei Nachbarn am Gartenzaun. Die beiden eisernen Lieutenants hielten sie unerschütterlich auf Brusthöhe, niemand kam auf den Gedanken, das
Weitere Kostenlose Bücher