Der verbotene Ort
Mist.«
»Warum hat er mir nichts davon gesagt, dass seine Tochter abgehauen ist?«
»So ist der alte Märchenerzähler. Er bezaubert uns mit Geschichten, die er uns erzählt, aber die raue Wirklichkeit behält er für sich. Außerdem, erinnern Sie sich, bei uns war damals die Kacke am Dampfen, mit diesen geöffneten Gräbern. Und, nehmen Sie’s, wie Sie wollen, aber jedermann zögert, Ihnen was Persönliches zu beichten.«
»Und warum?«
»Weil man nicht sicher ist, ob Sie überhaupt zuhören. Und wenn Sie zuhören, nimmt man an, dass Sie’s wieder vergessen. Wozu also? Mordent ist nicht darauf aus, die Wolken vom Himmel zu holen. Und Sie, Sie sitzen regelrecht oben drauf.«
»Ich weiß, was man von mir sagt. Ich allerdings meine, ich stehe auf der Erde.«
»Dann stehen wir aber nicht auf derselben.«
»Das ist gut möglich, Noël. Und? Das Mädchen?«
»Sie heißt Élaine. Mordent ist nach einem Anruf der Bullen von Bicetre in dem besetzten Haus aufgekreuzt, und es war die Hölle, was er zu sehen bekam, Sie kennen das. Da waren Kids, die aßen sogar Hundefutter. Einer von denen ist ausgeflippt und auf die Bullen losgegangen, weil ein Kumpel gerade eine Überdosis genommen hatte. Wobei Dosenfutter für Hunde wohl nicht mal was Schlechtes ist, im Grunde ja auch nur Ragout. Die Kleine von Mordent war total dicht, und der Stoff, den sie in der Bude gefunden haben, reicht schon mal satt für eine Anklage wegen Dealerei. Das Schlimmste aber, es fanden sich Waffen: zwei Knarren und mehrere Springmesser. Mit einer der Knarren wurde vor neun Monaten Stubby Down, der Chef vom Bereich Nord, erschossen. Und Zeugen haben ausgesagt, dass es zwei Angreifer waren, einer davon ein Mädchen mit langen dunklen Haaren bis zum Hintern.«
»Scheiße.«
»Am Ende haben sie drei von den Jugendlichen in Untersuchungshaft gesteckt, darunter Élaine Mordent.«
»Wo ist sie?«
»In Fresnes, steht unter Methadon. Sie riskiert zwei bis
vier Jahre Knast, und sehr viel mehr, wenn sie an dem Überfall auf Stubby Down beteiligt war. Mordent sagt, wenn sie da rauskommt, ist sie erledigt. Danglard versucht ihn aufzurichten, indem er ihn mit Weißwein begießt wie eine Pflanze, aber das hat bei Mordent verheerende Auswirkungen. Wann immer er wegkann, verbringt er seine Zeit in Fresnes, drinnen oder draußen, indem er auf die Mauern starrt. Das erklärt einiges.«
Noël wandte sich um und deutete mit dem Kinn auf die Villa, die Hände um den Gürtel geschlossen.
»Und dann noch dieser Modder da drin, da kann man schon den Kopf verlieren. Vielleicht sollte Danglard ihn ablösen kommen, jetzt, wo wir alles abgeräumt haben. Voisenet sucht Sie, er hat den ›Kot von Émile‹, wie dieser Idiot von Estalère sagt, inzwischen gefunden.«
Voisenet hatte die Probe auf den weißen Gartentisch gelegt, er reichte Adamsberg ein Paar Handschuhe. Der Kommissar öffnete den Beutel und roch an seinem Inhalt.
»Wir haben ›Pferdemist‹ aufs Etikett geschrieben, aber vielleicht ist es was anderes.«
»Nein, es ist welcher«, sagte Adamsberg und ließ ein kleines braunes Scheibchen in seine Hand gleiten. »Es sieht nicht aus wie das, was wir im Haus gefunden haben. Es ist nicht kugelförmig.«
»Kugeln waren es, weil sie sich im Profil der Stiefelsohlen so geformt hatten. Und bei all dem Blut auf dem Teppichboden haben sie sich herausgelöst.«
»Auf jeden Fall, Voisenet, ist es nicht vom selben Pferd. Ich will sagen: Es ist nicht derselbe Mist, also ist es nicht dasselbe Pferd.«
»Vielleicht hat er zwei Pferde«, warf Justin aufs Geratewohl ein.
»Ich meinte: nicht dieselbe Pferdezucht. Also auch nicht dieselben Schuhe. Denke ich.«
Adamsberg strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Es war nervig, immer wieder auf solche Schuhgeschichten zurückzukommen. Sein Handy klingelte. Retancourt. Schnell ließ er die Probe auf den Tisch fallen.
»Kommissar, es ist schiefgegangen. Émile hat mich auf dem Parkplatz des Krankenhauses von Garches abgehängt, zwei Ambulanzen standen zwischen uns. Es tut mir leid. Die Motorradfahrer sind auch hier, sie können ihn nicht lokalisieren.«
»Machen Sie sich keinen Kopf, Lieutenant. Sie sind mit einem Handicap los.«
»Zwei Handicaps, verdammt«, fuhr Retancourt fort. »Er kennt die Gegend wie seine Westentasche, er rannte durch Gärten und Gässchen, als wenn er sie selber angelegt hätte. Er wird sich in irgendeiner Hecke versteckt halten. Es wird schwer sein, ihn da rauszuholen, es sei denn, er kriegt
Weitere Kostenlose Bücher