Der verbotene Ort
stand. Adamsberg sah ihn vor sich, wie er im Unterhemd über seinen Schreibtisch gebeugt stand und ihn verfluchte.
Danglard betrachtete das kyrillische Wort im Brief von Vaudel und verwünschte den Kommissar, der sich für diese Füße überhaupt nicht interessiert hatte, als sie ihn, Danglard, stark beschäftigten. Und jetzt, wo er beschlossen hatte, ihn damit in Ruhe zu lassen, kam Adamsberg plötzlich darauf zurück. Ohne jede weitere Erklärung, auf seine undurchschaubare, überraschende Art, die Danglards Sicherheitsgefüge stets ins Wanken brachte. Und es vollends untergrub, wenn sich herausstellen sollte, dass Adamsberg recht hatte.
Was nicht ausgeschlossen war, wie Danglard sich eingestehen musste, während er das wenige Archivmaterial, das er von seinem Onkel Slavko Moldovan besaß, auf dem Tisch ausbreitete. Einem Mann, keine Frage, den man nicht im Magen eines Bären im Stich lassen konnte, ohne etwas zu unternehmen. Danglard schüttelte den Kopf, ungehalten wie jedes Mal, wenn ein Adamsberg’scher Gedanke sich in seine Überlegungen schlich. Er hatte Onkel Slavko sehr gemocht, der sich den lieben langen Tag Geschichten ausdachte, der den Finger auf die Lippen legte, um ein Geheimnis zu besiegeln, seinen Finger, der nach Pfeifentabak roch. Danglard hatte immer geglaubt, der Onkel sei eigens für ihn geschaffen worden, zu seiner alleinigen Unterhaltung. Slavko Moldovan wurde nie müde, oder zeigte es doch nicht, er gab ihm heitere und schaurige Stücke vom Dasein zu kosten, reichlich gespickt mit Geheimnissen wie mit Erkenntnissen. Er hatte ihm Fenster aufgetan, Horizonte eröffnet. Wenn er bei ihnen zu Besuch war, wich der kleine Adrien Danglard ihm nicht von der Seite, folgte ihm und seinen Mokassins mit der roten Quaste und der goldenen Ziernaht, die er an manchen Abenden mit einem glänzenden Faden ausbesserte. Man musste sorgsam mit ihnen umgehen, sie wurden an Festtagen getragen, so wollte es der Brauch im Dorf. Adrien half dem Onkel, er glättete den Goldfaden, fädelte ihn in die Nadeln ein. Weiß Gott, wie er diese Schuhe kannte, deren Quasten er, von so schmählicher Hand auf den gotteslästerlichen Haufen von Highgate geworfen, wiedergefunden hatte. Quasten, die auch irgendeinem anderen Dorfbewohner gehört haben konnten, was Danglard glühend wünschte. Superintendent Radstock war vorangekommen. Es schien erwiesen, dass der Sammler sich in Leichenschauhäuser und Bestattungsinstitute einschlich, wo ein Toter aufgebahrt lag. Dort nahm er die Fetisch-Füße ab und schraubte den Sarg wieder zu. Die Füße wurden gewaschen, die Nägel beschnitten. Doch wenn der Fußabschneider Engländer oder Franzose war, warum und wie, zum Teufel, hatte er dann die Füße eines Serben in die Finger gekriegt? Und wie war es möglich, dass er da unten nicht aufgefallen war? Es sei denn, er wäre aus dem Dorf selbst?
Dieses Dorf hatte Slavko ihm zu allen Jahreszeiten beschrieben als einen außergewöhnlichen Ort, bevölkert von Feen und Dämonen, wobei der Onkel die Gunst der einen genoss und die anderen bekämpfte. Einen großen Dämon vor allem, der sich im Schoß der Erde verbarg und am Waldsaum umherstrich, und dabei senkte Slavko die Stimme und legte den Finger auf die Lippen. Danglards Mutter missbilligte Slavkos Geschichten, und sein Vater mokierte sich über sie. Warum erzählst du ihm diese schaurigen Dinge? Wie soll er denn danach einschlafen? – Es ist doch nur Quatsch, antwortete Slavko. Der Junge und ich, wir amüsieren uns damit.
Dann aber hatte die Tante ihn für diesen Trottel von Roger verlassen, und Slavko war nach dort unten zurückgekehrt.
Dort unten.
Nach Kiseljevo.
Danglard atmete schwer, goss sich ein Glas ein und wählte die Nummer von Adamsberg, der sofort abnahm.
»›Kiss Love‹ heißt es nicht, Danglard, oder?«
»Nein. Es heißt Kiseljevo und ist das Dorf von meinem Onkel.«
Adamsberg zog die Brauen zusammen, stieß mit dem Fuß ein Scheit in die Glut.
»Kiseljevo? Nein, das ist es nicht. So hat Estalère es nicht ausgesprochen. Er hat ›Kisslovö‹ gesagt.«
»Das ist dasselbe. In Westeuropa sagt man Kisilova für Kiseljevo. So wie man Belgrad für Beograd sagt.«
Adamsberg zog den Finger aus dem Ohr.
»Kisolova«, wiederholte er. »Ausgezeichnet, Danglard.
Da haben wir die Verbindung zwischen Higegatte und Garches, das ist der Tunnel, der schwarze Tunnel.«
»Nein«, sagte Danglard in einem letzten Anflug von Widerstand. »Dort unten fangen viele Namen mit K
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