Der verbotene Turm
solche Angst? Du kannst sie doch nicht wirklich verletzen, wenn du – diese Psi-Kräfte, oder was es ist, auf ihre Kanäle anwendest? Sie sind doch nicht einmal körperlich, nicht wahr?«
Damon schloß kurz die Augen. Es war eine unwillkürliche, krampfartige Bewegung. Er sagte: »Ich werde sie nicht töten. So viel Wissen habe ich. Doch bei einer Fehleinschätzung könnte ich einige der Nerven beschädigen, die um die Fortpflanzungsorgane liegen. Der Schaden könnte groß genug sein, daß sie niemals ein Kind bekommen kann. Deshalb muß sie voll wach sein. Sie weiß besser als ich, wie die Hauptnerven verlaufen.«
»In Gottes Namen«, flüsterte Andrew, »kannst du es nicht trotzdem tun, wenn sie bewußtlos ist? Spielt es denn eine Rolle, ob sie Kinder bekommen kann?«
Damon sah ihn empört und entsetzt an. »Das kann nicht dein Ernst sein!« Er konnte diese Bemerkung nur dem tiefen Kummer seines Freundes zuschreiben. »Callista ist Comyn , sie hat Laran . Jede Frau würde lieber sterben, als das zu riskieren. Sie ist deine Frau, Mann, nicht irgendeine Frau von der Straße!«
Damons echte Entrüstung ließ Andrew verstummen. Er gab sich Mühe, Damon nichts von seiner Verblüffung merken zu lassen. Wieder einmal war er über irgendein darkovanisches Tabu gestolpert. Würde er es je lernen? Steif erklärte er: »Es tut mir leid, wenn ich dich beleidigt habe, Damon.«
»Beleidigt? Das nun gerade nicht, aber … aber schockiert.« Damon war bestürzt. Hatte Andrew überhaupt eine Vorstellung davon, daß das Kostbarste, was Callista ihm geben konnte, ihr Erbgut, ihr Clan war? Beruhte seine Liebe nur auf Begierde und Selbstsucht? Sogleich verwarf er den Gedanken. Nein, Andrew hatte zu viel für sie ertragen, so war es nicht. Endlich sagte sich Damon verzweifelt: Ich liebe ihn, aber werde ich ihn jemals verstehen?
Andrew, den all diese Emotionen umspülten, drehte sich um und legte Damon verlegen eine Hand auf die Schulter. Zögernd sagte er: »Ich frage mich, ob … ob überhaupt jemand einen anderen verstehen kann. Ich gebe mir Mühe, Damon. Laß mir Zeit.«
Damons normale Reaktion wäre gewesen, Andrew zu umarmen, aber er hatte sich daran gewöhnt, daß Andrew derartige natürliche Gesten zurückwies, weil sie ihn in Verlegenheit setzten. Auch in dieser Sache mußte etwas unternommen werden. »In einem Punkt verstehen wir uns völlig, Bruder. Beide wollen wir das, was für Callista das Beste ist. Kehren wir zu ihr zurück.«
Andrew nahm wieder seinen Platz an Callistas Bett ein. Trotz allem glaubte er, Damon übertreibe. Das alles waren psychische Vorgänge; wie konnten sie tatsächlich eine körperliche Wirkung haben? Doch Damon hatte Recht damit, daß Callista dem Tode nahe war. Schaudernd stellte Andrew fest, daß sie nicht einmal mehr versuchte, den Kopf auf dem Kissen zu drehen, obwohl ihre Augen ihm folgten.
»Damon, schwöre mir, daß es danach eine Möglichkeit geben wird, mich wieder … wieder normal zu machen …«
»Ich schwöre es, Breda .« Damons Stimme war so ruhig wie seine Hände, aber Andrew erkannte, daß er um seine Selbstbeherrschung kämpfte. Callista jedoch sah ganz friedlich aus.
»Ich habe keinen Kirian für dich, Callista.«
Andrew spürte, daß sie sich angstvoll anspannte, aber sie antwortete: »Ich werde ohne ihn zurechtkommen. Tu, was du tun mußt.«
»Callista, wenn du das Wagnis eingehen willst, du hast Kireseth -Blüten …?«
Sie lehnte mit einer schwachen Geste ab. Damon hatte gewußt, daß sie dem nicht zustimmen würde. Das Tabu war unter den im Turm ausgebildeten Menschen absolut. Er wünschte, sie sei weniger bedenklich, weniger gewissenhaft. Callista hauchte: »Du sagtest, du wollest versuchen …«
Damon nickte und holte die kleine Phiole hervor. »Eine Tinktur. Ich habe die Unreinheiten ausgefiltert und die Öle in Wein gelöst. Vielleicht ist das besser als nichts.«
Ihr Lachen war tonlos, nicht mehr als ein Hauch. Andrew konnte es kaum fassen, daß sie jetzt zu lachen vermochte! »Ich weiß, das ist nicht deine besondere Stärke, Damon. Ich will es versuchen, aber laß mich zuerst den Geschmack probieren. Wenn du die falschen Öle erwischt hast …« Sie roch vorsichtig an der Flasche, nahm ein paar Tropfen und erklärte endlich: »Es ist ungefährlich. Ich werde es schlucken, aber …« Sie überlegte und deutete dann zwischen Daumen und Zeigefinger eine winzige Menge an. »Aber nur so viel.«
»Du wirst mehr brauchen, Callista. Sonst hältst du den Schmerz
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