Der verbotene Turm
fürchtete sie, das, was zuvor geschehen war, könne wieder geschehen, der Reflex, den sie nicht zu kontrollieren vermochte, werde Andrew treffen, ihn verletzen, töten; teils fürchtete sie ihre eigene Erregung, die ihr fremd und ungewohnt war. In ihren Augen lag etwas wie Entsetzen, als sie Andrew ansah. Dann wanderte ihr Blick zu Damon hinüber und nahm einen Ausdruck betäubter Hilflosigkeit an.
Ellemirs Gedanken bewegten sich rasch durch den wachsenden Rapport. Habt ihr vergessen, wie jung sie ist?
Andrew starrte sie verständnislos an. Schließlich war Callista ihre Zwillingsschwester!
Ja, und nach so vielen Jahren als Bewahrerin ist sie in mancher Beziehung älter als ich, aber all das ist jetzt aus ihrem Geist verschwunden. Sie ist im Grunde das kleine Mädchen von dreizehn, das in den Turm geschickt wurde. Für sie ist Liebe immer noch verbunden mit Schmerz und Entsetzen und dem Wissen, daß sie dich beinahe getötet hätte. Sie hat nichts Schönes, an das sie sich erinnern kann, ausgenommen ein paar Küsse in dem Blumenfeld. Überlaß sie ein Weilchen mir, Andrew .
Widerstrebend zog sich Andrew von Callista zurück. Ellemir legte einen Arm um die Schultern ihrer Zwillingsschwester. Sie brauchten nicht laut miteinander zu sprechen, und sie machten sich die Mühe auch nicht.
Komm mit mir, Liebling, es kann ihnen nicht schaden, zu warten, bis du bereit bist . Sie führte Callista in den inneren Raum. Dies ist deine wirkliche Hochzeitsnacht, Callista, und dabei wird es keine dummen Streiche und schmutzigen Witze geben .
Gehorsam wie ein Kind – und Ellemir kam sie beinahe wirklich wie ein Kind vor – erlaubte Callista ihrer Zwillingsschwester, sie auszuziehen und die Farbe zu entfernen, mit der sie die roten Male auf ihren Wangen verborgen hatte, ihr das lange Haar auszubürsten und sie in ein Nachtgewand zu stecken. Die Berührung bewirkte, daß ihre Gedanken ganz offen voreinander dalagen. Auch Ellemirs Abschirmung war unter dem Einfluß des Kireseth gefallen. Alle die Erinnerungen stiegen in ihr auf, die Callista nicht hatte teilen können, als sie am Abend vor ihrer Hochzeit den zögernden Versuch gemacht hatten, sich gegenseitig ihre Erlebnisse anzuvertrauen.
Ellemir fühlte und erlebte mit Callista die Konditionierung, die sie mit eiserner Disziplin auch eine zufällige Berührung einer menschlichen Hand vermeiden ließ. Überwältigt von Entsetzen blickte sie auf die kleinen verheilten Narben an Callistas Händen und Handgelenken und wurde von der körperlichen und seelischen Qual jener ersten furchtbaren Jahre im Turm überflutet. Und Damon war Teil davon gewesen! Einen Augenblick lang teilte sie Callistas verborgenen Groll, den Zorn, dem sie niemals Worte oder ein Ventil gegeben hatte und der eine Spannung erzeugte, die sich nur durch die fokussierte Energie in den Matrix-Schirmen und Relais entladen konnte.
Mit Callista durchlitt sie von neuem das langsame, unvermeidliche Absterben normaler körperlicher Reaktionen, die Betäubung physischer Reflexe, die Verhärtung von Geist und Körper zu einem undurchdringlichen Schutzschirm. Nach dem dritten Jahr in Arilinn hatte Callista sich nicht mehr einsam gefühlt, hatte nicht mehr nach menschlichem Kontakt oder emotionaler Nahrung gehungert.
Sie war eine Bewahrerin.
Es war ein Wunder, sagte sich Ellemir, daß ihr noch menschliches Mitleid, überhaupt noch ein echtes Gefühl geblieben war. In ein paar wenigen Jahren wäre es zu spät gewesen; selbst Kireseth hätte den harten Panzer, den Abdruck so großer Spannung im Geist nicht mehr auflösen können.
Doch nun hatte der Kireseth Callistas Konditionierung abgebaut und sie als zitterndes Kind zurückgelassen. Ihr Geist war frei, und ihr Körper lag nicht mehr in den Banden anerzogener Reflexe, aber damit war auch alles an verstandesmäßiger Einsicht und Reife verschwunden, auf die sich Callista bisher gestützt hatte, und sie war zu einem verängstigten kleinen Mädchen geworden. Mit tiefem Mitleid erkannte Ellemir, daß Callista jünger war als sie selbst zu der Zeit, in der sie ihren ersten Liebhaber hatte.
Nach der Befreiung hätten Callista ein oder zwei Jahre gegönnt sein müssen, in denen sie erwachsen werden und sich erst gefühlsmäßig und dann körperlich der Liebe bewußt hätte werden können. Aber so viel Zeit hatte sie nicht. Sie hatte nur die heutige Nacht, um eine Kluft von Jahren zu überbrücken.
Ellemir nahm das zitternde Mädchen in ihre Arme und wünschte sich, sie
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