Der verbotene Turm
könne Callista etwas von ihrer eigenen Bereitwilligkeit abgeben. An Mut fehlte es Callista nicht – niemand, der diese Art von Ausbildung überstanden hatte, konnte feige sein. Sie würde sich hart machen, würde den Vollzug der Ehe über sich ergehen lassen, damit sie morgen vor dem Rat beschwören konnte, es sei geschehen. Aber Ellemir fürchtete, es würde für sie eine Qual, eine Mutprobe sein, nicht die Seligkeit, die es hätte sein sollen.
Es war grausam, entschied Ellemir. Sie forderten von einem Kind, es solle seiner Vergewaltigung zustimmen – denn das würde es im Grunde sein.
Callista war nicht die Erste. So viele Comyn -Frauen wurden fast noch als Kinder mit Männern verheiratet, die sie kaum kannten und nicht liebten. Callista hatte Mut, also würde sie nicht rebellieren. Und sie liebte Andrew wirklich. Und trotzdem, dachte Ellemir, welch eine grauenvolle Hochzeitsnacht für das arme Kind!
Zeit war das Einzige, was Callista brauchte, und das Einzige, was Ellemir ihr nicht geben konnte.
Sie spürte Callistas zögernde gedankliche Berührung, die nach Trost suchte, und plötzlich ging ihr auf, daß es doch eine Möglichkeit gab, ihre eigene Erfahrung mit ihrer Zwillingsschwester zu teilen. Sie waren beide Telepathen. Ellemir hatte immer an ihrem eigenen Laran gezweifelt, aber unter dem Kireseth entdeckte auch sie ein neues Potential, ein Wachsen.
Zuversichtlich ergriff sie Callistas Hände und ließ ihre Gedanken zurückwandern in ihr fünfzehntes Jahr, die Zeit von Dorians Schwangerschaft. Da waren ihre wachsende Freundschaft mit Dorians jungem Ehemann, die Übereinkunft der Schwestern, daß Ellemir in seinem Bett Dorians Platz einnahm. Ellemir hatte ein bißchen Angst gehabt, nicht vor dem Erlebnis selbst, sondern davor, daß Mikhail sie für unwissend und kindisch, zu jung, zu unerfahren als geeignete Stellvertreterin Dorians halten würde. Als er das erste Mal zu ihr kam – daran hatte Ellemir seit Jahren nicht mehr gedacht –, war sie gelähmt vor Furcht gewesen, beinahe so schlimm wie Callista jetzt. Würde er sie für unbeholfen, für häßlich halten?
Und doch, wie leicht war es gewesen, wie einfach und angenehm, wie töricht war ihr ihr Bangen vorgekommen! Als Dorians Kind geboren und die Zeit zu Ende war, hatte sie es bedauert.
Langsam bewegte sie sich in der Zeit vorwärts, verschmolz ihr Bewußtsein mit dem Callistas, teilte mit ihr das Wachsen ihrer Liebe zu Damon. Das erste Mal, als sie beim Mittsommerfest in Thendara miteinander getanzt hatten, war er ihr als ein Mann mittleren Alters vorgekommen, nur einer der Offiziere ihres Vaters, schweigsam, zurückhaltend, aus Höflichkeit gegen seine Cousine aufmerksam, aber nicht mehr. Erst als Callista von den Katzenwesen gefangen genommen wurde und sie in ihrer Angst nach ihm geschickt hatte, war ihr aufgegangen, daß Damon durchaus nicht nur ein freundlicher älterer Verwandter und der Freund ihres lange toten Bruders war. Und dann hatte sie entdeckt, was er ihr bedeutete. Wie sie es nie in Worten hätte tun können, teilte sie Callista die zunehmende Enttäuschung des Wartens, die Unzufriedenheit mit den Küssen und keuschen Umarmungen, die Ekstase ihres ersten Zusammenkommens mit. Wenn ich damals nur gewußt hätte, wie ich das mit dir hätte teilen können, Callie!
Noch einmal erlebte Ellemir mit einer Mischung aus Freude und Befürchtungen die ersten Vermutungen, daß sie schwanger sei:
Glück, Angst und Übelkeit, der Aufruhr in ihrem Körper, der sich in ein fremdes, feindliches Ding verwandelte, aber bei allem so viel Seligkeit! Wieder konnte sie nicht aufhören zu weinen, als der Tag kam, an dem die zarte Verbindung riß und Damons Tochter tot geboren wurde. Und dann, zögernder – bist du fähig, es zu akzeptieren? Nimmst du es übel? – fühlte sie noch einmal, wie ihr Andrews Not immer stärker bewußt wurde und sie ihn in ihr Bett einlud. Kurze Zeit hätte sie beinahe gefürchtet, das könne ihre Verbundenheit mit Damon schmälern, und dann hatte sie mit Entzücken festgestellt, daß es sie verstärkte. Denn weil es nun eine Sache der Wahl und nicht nur der Gewohnheit war, weil sie von Andrew mehr über sich und ihre eigenen Wünsche gelernt hatte, war ihre Beziehung zu Damon noch enger geworden.
Du wolltest, daß ich es tue, Callista, aber ich habe mich doch immerzu gefragt, ob es vielleicht nur daran lag, daß du nicht wußtest, was es mir bedeutete .
Callista setzte sich im Bett auf, legte ihre Arme um Ellemir und
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