Der verbotene Turm
mußte Andrew bei einem mitmachen, das unter unverständlichen Regeln eine große Küsserei vorsah. In einem ruhigen Augenblick am Rand der Runde gestand er Ellemir seine Verwirrung. Ihr Gesicht war gerötet; er argwöhnte, daß sie ziemlich viel von dem süßen, schweren Wein getrunken hatte. Sie kicherte. »Oh, es ist ein Kompliment für Callista, daß diese Mädchen zeigen, sie finden ihren Gatten begehrenswert. Und außerdem sehen sie von Mittwinter bis Mittsommer niemanden als ihre eigenen Brüder und Verwandten. Du bist ein neues Gesicht, und das ist aufregend für sie.«
Das war ganz einleuchtend, aber trotzdem, er kam sich einfach zu alt vor für Kußspiele mit betrunkenen kleinen Mädchen, von denen viele kaum über zehn waren. Er hatte sich sowieso nie viel aus dem Trinken gemacht, selbst unter seinen eigenen Landsleuten nicht, wo er alle gängigen Scherze kannte. Sehnsüchtig blickte er nach Callista, aber eins der ungeschriebenen Gesetze schien zu lauten, daß der Mann nicht mit seiner eigenen Frau tanzen durfte. Jedes Mal, wenn er in ihre Nähe kam, drängten sich andere zwischen sie und hielten sie auseinander.
Schließlich wurde das so auffällig, daß er Damon aufspürte und ihn darüber befragte. Damon lachte. »Ich hatte vergessen, daß du in den Kilghardbergen ein Fremder bist, Bruder. Du willst ihnen den Spaß doch nicht verderben? Es ist Sport bei Hochzeiten, Mann und Frau getrennt zu halten, damit sie nicht fortschlüpfen und ihre Ehe vollziehen können, bevor sie von der ganzen Gesellschaft zu Bett gebracht worden sind. Wenn das geschieht, kann sich jeder mit den Scherzen vergnügen, die hier bei Hochzeiten Tradition sind.« Er lachte vor sich hin, und in Andrew stieg plötzlich die Frage auf, was ihm noch bevorstehen mochte.
Damon folgte seinen Gedanken genau und erklärte: »Wenn die Hochzeiten in Thendara abgehalten worden wären – ja, dort ist man aufgeklärter und zivilisierter. Aber hier hält man sich an die ländlichen Sitten, und ich fürchte, sie sind von sehr derber Natürlichkeit. Mir selbst macht das nichts aus, aber ich bin auch hier aufgewachsen. Mich wird man meines Alters wegen noch ein bißchen extra aufziehen. Die meisten Männer heiraten, wenn sie etwa in Domenics Alter sind. Und Ellemir stammt auch aus den Bergen, und sie hat die Braut bei so vielen Hochzeiten geneckt, daß ich glaube, sie wird ebenso viel Spaß haben wie die Gäste. Aber ich wünschte, ich könnte es Callista ersparen. Sie war immer … abgeschirmt. Und eine Bewahrerin, die ihr Amt niederlegt, ist eine zu gute Zielscheibe für schmutzige Witze. Ich fürchte, für sie hat man einen besonders handfesten Spaß bereit.«
Andrew sah zu Ellemir hinüber, die lachend und errötend unter den Mädchen stand. Auch Callista wurde umringt, aber sie sah in sich gekehrt und elend aus. Mit Erleichterung stellte Andrew jedoch fest, daß zwar viele Frauen mit roten Köpfen kicherten, lachten und kreischten, eine nicht unbeträchtliche Zahl von ihnen jedoch – hauptsächlich die jüngsten – wie Callista verschämt und schüchtern waren.
»Trink!« Domenic drückte Andrew ein Glas in die Hand. »Du kannst bei einer Hochzeit nicht nüchtern bleiben, das ist unhöflich. Wenn du dich nämlich nicht betrinkst, könntest du zu leidenschaftlich werden und deine Braut mißhandeln, wie, Damon?« Er schloß einen Witz über den Mondschein an, den Andrew nicht verstand, Damon jedoch vor verlegenem Lachen schnauben ließ.
»Ich sehe, du holst dir bei Andrew Rat für heute Nacht. Sag mir, Andrew, haben deine Leute auch dafür eine Maschine? Was, nicht?« Pantomimisch stellte er übertriebene Erleichterung dar. »Das ist ja immerhin etwas! Ich fürchtete schon, wir müßten eine spezielle Demonstration arrangieren.«
Dezi starrte Damon mit konzentrierter Aufmerksamkeit an. War der Junge bereits betrunken? Dezi sagte: »Ich freue mich, daß du die Absicht ausgesprochen hast, deine Söhne zu legitimieren. Oder willst du in deinem Alter mir erzählen, daß du noch keine Söhne hast, Damon?«
Bei einer Hochzeit durfte man indiskrete Fragen nicht übel nehmen, und so antwortete Damon mit gutmütigem Lächeln: »Ich bin weder ein Mönch noch ein Ombredin , Dezi, deshalb ist das nicht unmöglich, aber sollte es so sein, dann haben ihre Mütter versäumt, mich über ihre Existenz zu informieren. Aber ich hätte mich über einen Sohn gefreut, ob Bastard oder nicht.« Plötzlich berührten seine Gedanken die Dezis. In seiner
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