Der verbotene Turm
haarfeine Grenzlinie einhalten, betrunken genug sein, daß ihm die Peinlichkeit der Situation nicht so recht zu Bewußtsein kam, aber nüchtern genug, um sein Callista gegebenes Versprechen, sie nie unter Druck zu setzen oder zu drängen, nicht zu vergessen. Er begehrte sie – er hatte in seinem ganzen Leben nie eine Frau so begehrt –, aber er wünschte sie sich willig und sein eigenes Verlangen teilend. Er wußte ganz genau, daß er an einer Vereinigung, die auch nur die entfernteste Ähnlichkeit mit einer Vergewaltigung hatte, keine Freude haben würde. Und bei Callistas augenblicklicher Verfassung war etwas anderes nicht möglich.
»Wenn du dich nicht betrinkst, könntest du zu leidenschaftlich werden und deine Braut mißhandeln.« Dieser verdammte Domenic und seine dummen Witze! Glücklicherweise wußte niemand außer Damon, der das Problem verstand, was er durchmachte.
Wenn sie es wüßten, würden sie es wahrscheinlich für komisch halten!, überlegte Andrew. Noch ein schmutziger Witz mehr auf Kosten des Brautpaars!
Plötzlich spürte er Unruhe, Verzweiflung … Das war Callista! Callista war irgendwo in Schwierigkeiten! Er eilte in ihre Richtung, ließ sich von seiner telepathischen Empfänglichkeit leiten.
Er fand sie am einen Ende der Halle, von Dezi an die Wand gedrängt. Er hatte seine Arme links und rechts von ihr aufgestemmt, so daß sie sich nicht ducken und ihm entfliehen konnte. Er beugte sich vor, um sie zu küssen. Sie wand sich zur einen Seite und zur anderen, versuchte, seinen Lippen zu entgehen, und flehte: »Tu’s nicht, Dezi, ich möchte mich nicht gegen einen Verwandten verteidigen müssen …«
»Wir sind hier nicht im Turm, Domna . Komm jetzt, nur ein richtiger Kuß …«
Andrew faste den Jungen an einer Schulter und riß ihn weg. Dezi verlor den Boden unter den Füßen.
»Verdammt noch mal, lasse sie in Ruhe!«
Dezi sah ihn verdrießlich an. »Das war doch nur ein Spaß zwischen Verwandten.«
»Ein Spaß, den Callista nicht zu würdigen scheint«, fuhr Andrew ihn an. »Verzieh dich! Oder ich werde …«
» Was wirst du?« höhnte Dezi. »Mich zu einem Duell fordern?«
Andrew blickte auf den schmächtigen Jungen hinab. Dezi war rot im Gesicht, wütend, offensichtlich betrunken. Sofort verflog sein Zorn. Die terranische Sitte, Unmündigen das Trinken von Alkohol zu verbieten, hatte schon etwas für sich, dachte er. »Dich herausfordern? Teufel!« lachte er. »Ich werde dich übers Knie legen und durchhauen. Jetzt geh und werde wieder nüchtern und hör auf, die Erwachsenen zu belästigen!«
Dezi sandte Andrew einen mörderischen Blick zu, aber er ging, und Andrew kam zu Bewußtsein, daß er mit Callista zum ersten Mal seit der Erklärung allein war.
»Zum Teufel, was hatte er vor?«
Callista war so rot wie ihr leichtes Gewand, aber sie versuchte, den Vorfall als Scherz abzutun. »Oh, er sagte, jetzt sei ich keine Bewahrerin mehr, und da stehe es mir frei, der unwiderstehlichen Leidenschaft nachzugeben, die er, wie er überzeugt sei, in jeder weiblichen Brust erregen müsse.«
»Ich hätte den Fußboden mit ihm aufwischen sollen«, sagte Andrew.
Sie schüttelte den Kopf. »O nein. Ich denke, er ist einfach ein bißchen mehr betrunken, als er vertragen kann. Und schließlich ist er ein Verwandter. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß er meines Vaters Sohn ist.«
Das hatte Andrew schon halb und halb erraten, als er Domenic und Dezi Seite an Seite sah. »Aber würde er ein Mädchen so behandeln, das er für seine Schwester hält?«
»Halbschwester«, berichtigte Callista, »und in den Bergen dürfen Halbbruder und Halbschwester miteinander schlafen, wenn sie wollen, und sogar heiraten, wenn es auch bei so naher Verwandtschaft für besser gehalten wird, wenn sie keine Kinder haben. Und schmutzige Witze und dumme Streiche sind Brauch bei einer Hochzeit, so daß Dezi nur grob und nicht schockierend war. Ich bin zu empfindlich, und dann ist er auch noch sehr jung.«
Sie war immer noch zitterig und aufgeregt, und Andrew dachte immer noch, er hätte mit dem Jungen den Fußboden aufwischen sollen. Dann, verspätet, fragte er sich, ob er zu hart gegen Dezi gewesen sei. Dezi war weder der erste noch der letzte Bengel, der mehr trank, als er vertragen konnte, und sich zum Narren machte.
Er sah in ihr müdes, angestrengtes Gesicht und sagte leise: »Es wird bald vorüber sein. Liebes.«
»Ich weiß.« Sie zögerte. »Weißt du Bescheid … der Brauch …?«
»Damon hat es mir
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