Der Verdacht
neue, indem er die Spritze mit einer farblosen Flüssigkeit füllte.
Aber der Kommissär widersprach.
«Ich habe noch eine Waffe», sagte er. «Nehmen wir Ihre Methode, Doktor. Sie empfangen mich, wie ich an diesem letzten trüben Tag des Jahres von Bern her durch Schneegestöber und Regen in Ihr Spital komme, zur ersten Untersuchung im Operationssaal. Warum tun Sie das? Es ist doch ungewöhnlich, daß ich gleich in einen Raum geschoben werde, vor dem ein Patient Grauen empfinden muß. Sie tun dies, weil Sie mir Furcht einflößen wollen, denn mein Arzt können Sie nur sein, wenn Sie mich beherrschen, und ich bin ein eigenwilliger Kranker, das wird Ihnen Hungertobel gesagt haben. Da werden Sie sich eben zu dieser Demonstration entschlossen haben. Sie wollen mich beherrschen, um mich heilen zu können, und da ist eben die Furcht eines der Mittel, das Sie anwenden müssen. So ist es auch in meinem verteufelten Beruf. Unsere Methoden sind die gleichen. Ich kann nur noch mit der Furcht gegen den vorgehen, den ich suche.»
Die Spritze in Emmenbergers Hand war gegen den Alten gerichtet. «Sie sind ein ausgekochter Psychologe», lachte der Arzt. «Es ist wahr, ich wollte Ihnen mit diesem Saal ein wenig imponieren. Die Furcht ist ein notwendiges Mittel. Doch bevor ich zu meiner Kunst greife, wollen wir doch die Ihre zu Ende hören. Wie wollen Sie vorgehen? Ich bin gespannt. Der Verfolgte weiß nicht, daß Sie ihn verfolgen, wenigstens sind dies Ihre eigenen Worte.»
«Er ahnt es, ohne es genau zu wissen, und das ist gefährlicher für ihn», antwortete Bärlach. «Er weiß, daß ich in der Schweiz bin und daß ich einen Kriegsverbrecher suche. Er wird seinen Verdacht beschwichtigen und sich immer wieder beteuern, daß ich einen andern suche und nicht ihn. Denn durch eine meisterhafte Maßnahme hatte er sich gesichert und sich aus der Welt des schrankenlosen Verbrechens in die Schweiz gerettet, ohne seine Person mit hinüberzunehmen. Ein großes Geheimnis. Aber in der dunkelsten Kammer seines Herzens wird er ahnen, daß ich ihn suche und niemand andern, nur ihn, immer nur ihn. Und er wird Furcht haben, immer größere Furcht, je unwahrscheinlicher es für seinen Verstand sein wird, daß ich ihn suche, während ich, Doktor, in diesem Spital in meinem Bett liege mit meiner Krankheit, mit meiner Ohnmacht.» Er schwieg.
Emmenberger sah ihn seltsam, fast mitleidig an, die Spritze in der ruhigen Hand.
«Ich zweifle an Ihrem Erfolg», sagte er gelassen. «Aber ich wünsche Ihnen Glück.»
«An seiner Furcht wird er krepieren», antwortete der Alte unbeweglich.
Emmenberger legte die Spritze langsam auf den kleinen Tisch aus Glas und Metall, der neben dem Rollbett stand. Da lag sie nun, ein bösartiges, spitzes Ding. Emmenberger stand ein wenig vornübergeneigt. «Meinen Sie?» sagte er endlich. «Glauben Sie?» Seine schmalen Augen zogen sich hinter der Brille fast unmerklich zusammen. «Es ist erstaunlich, heutzutage noch einen so hoffnungsfrohen Optimisten zu sehen. Ihre Gedankengänge sind kühn; hoffen wir, daß die Realität Sie einmal nicht zu sehr düpiert. Es wäre traurig, wenn Sie zu entmutigenden Resultaten kämen.» Er sagte dies leise, etwas verwundert. Dann ging er langsam in die Dunkelheit des Raumes zurück, und es wurde wieder hell. Der Operationssaal lag in grellem Licht. Emmenberger stand beim Schaltbrett.
«Ich werde Sie später untersuchen, Herr Kramer», sagte er lächelnd. «Ihre Krankheit ist ernst. Das wissen Sie. Der Verdacht, sie könnte lebensgefährlich sein, ist nicht behoben. Ich habe nach unserem Gespräch leider diesen Eindruck. Offenheit verdient Offenheit. Die Untersuchung wird nicht eben leicht sein, da sie einen gewissen Eingriff verlangt. Den wollen wir doch lieber nach Neujahr unternehmen, nicht wahr? Ein schönes Fest soll man nicht stören. Die Hauptsache ist, daß ich Sie vorerst in Obhut genommen habe.»
Bärlach antwortete nicht.
Emmenberger drückte die Zigarette aus. «Teufel, Doktorin», sagte er, «da habe ich ja im Operationszimmer geraucht. Herr Kramer ist ein aufregender Besuch. Sie sollten ihm und mir mehr auf die Finger klopfen.»
«Was ist denn das?» fragte der Alte, wie ihm die Ärztin zwei rötliche Pillen gab.
«Nur ein Beruhigungsmittel», sagte sie. Doch das Wasser, das sie ihm reichte, trank er mit noch größerem Unbehagen.
«Läuten Sie der Schwester», befahl Emmenberger vom Schaltbrett her.
In der Tür erschien Schwester Kläri. Sie kam dem Kommissär wie
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