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Der Verdacht

Der Verdacht

Titel: Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Rollbett wurde durch den Eingang geschoben, von draußen hörte er noch, wie sich Hungertobels Wagen entfernte. «Er fährt, er fährt», sagte er leise vor sich hin. Über dem Alten wölbte sich eine weiße, blitzende Decke, von großen Spiegeln unterbrochen, in denen er sich sah, ausgestreckt und hilflos; ohne Erschütterung und ohne Geräusch glitt der Wagen durch geheimnisvolle Korridore, nicht einmal die Schritte der Schwestern waren zu hören. An den gleißenden Wänden zu beiden Seiten klebten schwarze Ziffern, unsichtbar waren die Türen in das Weiß eingefügt, in einer Nische dämmerte der nackte feste Leib einer Statue. Von neuem nahm Bärlach die sanfte und doch grausame Welt eines Spitals auf.
    Und hinter ihm das rote, dicke Gesicht einer Krankenschwester, die den Wagen schob.
    Der Alte hatte wieder die Hände hinter seinem Nacken verschränkt.
    «Gibt es hier einen Zwerg?» fragte er auf Hochdeutsch, denn er hatte sich als einen Auslandschweizer anmelden lassen.
    Die Krankenschwester lachte. «Aber Herr Kramer», sagte sie, «wie kommen Sie auf eine solche Idee?»
    Sie sprach ein schweizerisch gefärbtes Hochdeutsch, aus dem er schließen konnte, daß sie eine Bernerin war. So sehr ihn die Antwort mißtrauisch machte, so schien ihm dies dann doch wieder etwas Positives. Er war hier wenigstens unter Bernern.
    Und er fragte: «Wie heißen Sie denn, Schwester?»
    «Ich bin die Schwester Kläri.»
    «Aus Bern, nicht wahr?»
    «Aus Biglen, Herr Kramer.»
    Die würde er bearbeiten, dachte der Kommissär.

Das Verhör
    B ärlach, den die Schwester in einen, wie es auf den ersten Blick schien, gläsernen Raum schob, der sich in gleißender Helle vor ihm auf tat, erblickte zwei Gestalten: leicht gebückt, hager die eine, ein Weltmann auch im Berufsmantel, mit dicker Hornbrille, die jedoch die Narbe an der rechten Braue nicht zu verdecken vermochte, Doktor Fritz Emmenberger. Des Alten Blick streifte den Arzt vorerst nur flüchtig; mehr beschäftigte er sich mit der Frau, die neben dem Manne stand, den er verdächtigte. Frauen machten ihn neugierig. Er betrachtete sie mißtrauisch. Als Berner waren ihm «studierte» Frauen unheimlich. Die Frau war schön, das mußte er zugeben, und als alter Junggeselle hatte er eine doppelte Schwäche dafür; sie war eine Dame, das sah er auf den ersten Blick, so vornehm und so zurückhaltend stand sie in ihrem weißen Ärztemantel neben Emmenberger (der doch ein Massenmörder sein konnte), aber sie war ihm doch etwas zu nobel. Man könnte sie direkt auf einen Sockel stellen, dachte der Kommissär erbittert.
    «Grüeßech», sagte er, sein Hochdeutsch fallenlassend, das er noch eben mit Schwester Kläri gesprochen hatte; es freue ihn, einen so berühmten Arzt kennenzulernen.
    Er spreche ja Berndeutsch, antwortete der Arzt ebenfalls im Dialekt.
    Als Auslandberner werde er sein Miuchmäuchterli wohl noch können, brummte der Alte.
    Nun, das habe er festgestellt, lachte Emmenberger. Die kunstgerechte Aussprache des Miuchmäuchterli sei immer noch das Kennwort der Berner.
    «Hungertobel hat recht», dachte Bärlach. «Nehle ist der nicht. Ein Berliner hätte es nie zum Miuchmäuchterli gebracht.»
    Er schaute sich die Dame von neuem an.
    «Meine Assistentin, Frau Doktor Marlok», stellte der Arzt vor.
    «So», sagte der Alte trocken, das freue ihn ebenfalls. Und dann fragte er unvermittelt, den Kopf ein wenig nach dem Arzt drehend: «Waren Sie nicht in Deutschland, Doktor Emmenberger?»
    «Vor Jahren», antwortete der Arzt, «da war ich einmal dort, doch meistens in Santiago in Chile»; nichts verriet indessen, was er denken mochte und ob ihn die Frage beunruhige.
    «In Chile, in Chile», sagte der Alte und dann noch einmal:
    «In Chile, in Chile.»
    Emmenberger steckte sich eine Zigarette in Brand und ging zum Schaltpult; nun lag der Raum im Halbdunkeln, notdürftig von einer kleinen blauen Lampe über dem Kommissär erhellt. Nur der Operationstisch war sichtbar, und die Gesichter der zwei vor ihm stehenden weißen Gestalten; auch erkannte der Alte, daß der Raum mit einem Fenster abgeschlossen wurde, durch welches von außen her einige ferne Lichter brachen. Der rote Punkt der Zigarette, die Emmenberger rauchte, bewegte sich auf und nieder.
    «In solchen Räumen raucht man sonst nicht», fuhr es dem Kommissär durch den Kopf. «Ein wenig habe ich ihn doch schon aus der Fassung gebracht.»
    Wo denn Hungertobel geblieben sei, fragte der Arzt.
    Den habe er fortgeschickt, antwortete

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