Der Verdacht
ein gemütlicher Henker vor. «Henker sind immer gemütlich», dachte er.
«Welches Zimmer haben Sie denn unserem Herrn Kramer bereitgemacht?» fragte der Arzt.
«Nummer zweiundsiebzig, Herr Doktor», antwortete Schwester Kläri.
«Geben wir ihm das Zimmer fünfzehn», sagte Emmenberger. «Da haben wir ihn besser unter Kontrolle.»
Die Müdigkeit kam wieder über den Kommissär, die er schon in Hungertobels Wagen gespürt hatte.
Als die Schwester den Alten in den Korridor zurückrollte, machte der Wagen eine scharfe Wendung. Da sah Bärlach, sich noch einmal aus seiner Müdigkeit emporreißend, Emmenbergers Gesicht.
Er sah, daß ihn der Arzt aufmerksam beobachtete, lächelnd und heiter.
Von einem Fieberfrost geschüttelt, fiel er zurück.
Das Zimmer
A ls er erwachte (es war immer noch Nacht, gegen halb elf; er mußte bei drei Stunden geschlafen haben, dachte er), befand er sich in einem Zimmer, das er verwundert und nicht ohne Besorgnis, aber doch mit einer gewissen Befriedigung betrachtete: da er Krankenzimmer haßte, gefiel es ihm, daß dieser Raum mehr einem Studio glich, einem technischen Raum, kalt und unpersönlich, soweit er dies im blauen Schein der Nachttischlampe erkennen konnte, die man zu seiner Linken hatte brennen lassen. Das Bett, in welchem er – nun im Nachthemd – gut zugedeckt lag, war immer noch der gleiche Rollwagen, auf dem man ihn hereingebracht hatte; er erkannte ihn sofort, wenn er auch mit einigen Handgriffen verändert worden war.
«Man ist hier praktisch», sagte der Alte halblaut in die Stille hinein. Er ließ den Lichtkegel der nach allen Seiten drehbaren Lampe durch den Raum gleiten; ein Vorhang tauchte auf, hinter dem sich das Fenster verbergen mußte; er war mit seltsamen Pflanzen und Tieren bestickt, die im Lichte aufleuchteten. «Man sieht, daß ich auf der Jagd bin», sagte er sich.
Er legte sich ins Kissen zurück und überdachte das nun Erreichte. Es war wenig genug. Er hatte seinen Plan durchgeführt. Nun hieß es, das Begonnene weiterzuverfolgen, um die Fäden des Netzes dichter zu weben. Es war notwendig zu handeln, doch wie er handeln mußte und wo er ansetzen konnte, wußte er nicht. Er drückte einen Knopf nieder, der sich auf dem Tischchen befand. Schwester Kläri erschien.
«Sieh da, unsere Krankenschwester aus Biglen an der Eisenbahnlinie Burgdorf-Thun», begrüßte sie der Alte. «Da sieht man, wie ich die Schweiz kenne als alter Auslandschweizer.»
«So, Herr Kramer, was ist denn? Endlich erwacht?» sagte sie, die runden Arme in die Hüften gestemmt.
Der Alte schaute von neuem auf seine Armbanduhr. «Es ist erst halb elf.»
«Haben Sie Hunger?» fragte sie.
«Nein», antwortete der Kommissär, der sich schwach fühlte.
«Sehen Sie, nicht einmal Hunger haben der Herr. Ich werde die Doktorin rufen, die haben Sie ja kennengelernt. Die wird Ihnen noch eine Spritze geben», entgegnete die Schwester.
«Unsinn», brummte der Alte. «Ich habe noch keine Spritze bekommen. Drehen Sie lieber die Deckenlampe an. Ich will mir einmal dieses Zimmer besehen. Man muß doch wissen, wo man liegt.»
Er war recht ärgerlich.
Ein weißes, doch nicht blendendes Licht strahlte auf, von dem man nicht recht wußte, woher es kam. Der Raum trat in der neuen Beleuchtung noch deutlicher hervor. Über dem Alten war die Decke ein einziger Spiegel, wie er erst jetzt zu seinem Mißvergnügen bemerkte; denn sich selbst so ständig über sich zu haben, mußte nicht recht geheuer sein. «Überall diese Spiegeldecke», dachte er, «es ist zum Verrücktwerden», im geheimen über das Skelett entsetzt, das ihm von oben entgegenstarrte, wenn er hinsah, und das er selbst war. «Der Spiegel lügt», dachte er, «es gibt solche Spiegel, die alles verzerren, ich kann nicht so abgemagert sein.» Er sah sich weiter im Zimmer um, vergaß die unbeweglich wartende Schwester. Links von ihm war die Wand aus Glas, das auf einer grauen Materie lag, in die nackte Gestalten, tanzende Frauen und Männer, geritzt waren, rein linear und doch plastisch; und von der rechten grüngrauen Wand hing wie ein Flügel zwischen Tür und Vorhang Rembrandts Anatomie in den Raum hinein, scheinbar sinnlos und doch berechnet, eine Zusammenstellung, die dem Raum etwas Frivoles gab, um so mehr, als über der Türe, in der die Schwester stand, ein schwarzes, rohes Holzkreuz hing.
«Nun, Schwester», sagte er, noch immer verwundert, daß sich das Zimmer durch die Beleuchtung so verändert hatte; denn ihm war vorher nur der
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