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Der Verehrer

Der Verehrer

Titel: Der Verehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Nachrichten im Fernsehen an. Soweit Lydia das mitbekam, hatte sich an diesem Tag auf der ganzen Welt nichts Besonderes ereignet.
     
    »Vielleicht solltest du Leona doch aufsuchen«, sagte Wolfgang, »egal, ob sie dagegen ist oder nicht. Sie hat sich in den Kopf gesetzt, noch eine Woche zu warten, ob die Polizei Jablonski festnehmen kann, und im anderen Fall ihr Versteck zu verlassen und nach Hause zurückzukehren. Ich mache mir Sorgen!«
    »Aber das ist doch Wahnsinn!« sagte Carolin. »Wenn sie jetzt zurückkommt, dann war alles umsonst.«
    »Eben. Sie begibt sich in schlimme Gefahr. Aber ich fürchte, daß sie auf mich nicht hören wird. Und am Telefon ist das sowieso alles so schwierig!«
    Wolfgang klang ziemlich verstört, fand Carolin. Es hatte sie gewundert, daß er so spät am Abend noch in Lauberg anrief und gerade sie zu sprechen verlangte. Sie hatte sogleich geargwöhnt, daß es um Leona ging, und ihre Vermutung hatte sich bestätigt.

    »Warum will sie denn etwas so Verrücktes machen?« fragte sie.
    »Sie scheint der Ansicht zu sein, daß sich nichts tun wird, solange sie beide, sie und Jablonski, in ihren Verstecken sitzen und darauf warten, daß der andere einen Fehler macht«, sagte Wolfgang. »Sie meint, daß sie sich zeigen muß, damit Robert dann reagiert und dabei geschnappt werden kann.«
    »Lockvogel in eigener Sache«, murmelte Carolin. »Viel zu riskant!«
    »Das meine ich eben auch. Das schlimme ist nur, ich finde keine wirklich guten Gegenargumente, was ihre Theorie angeht. In der Sache könnte sie durchaus recht haben. Aber …«
    »Soll ich sie anrufen?«
    »Noch besser wäre es, wie gesagt, du würdest einfach hinfahren. Es wird dauern, sie zu überzeugen. Du weißt, was für ein Sturkopf sie ist.«
    »Sie wollte das ausdrücklich nicht.«
    »Ich weiß. Aber es geht um ihr Leben. Ich würde selber hinfahren, aber ich traue mich nicht.«
    »Anfangs hast du gesagt, es sei auch zu gefährlich, wenn ich hinfahre!«
    »Ich weiß. Aber allmählich haben wir kaum noch eine Alternative, nicht?«
    »Ich werde es mir überlegen«, versprach Carolin, »uns bleibt ja noch diese Woche. Paß auf, Wolfgang: Wenn Leona nicht bis Freitag von ihrem verrückten Vorhaben Abstand genommen hat, fahre ich zu ihr und sperre sie dort notfalls in den Keller. Ausnahmsweise wird sie einmal tun, was ich ihr sage. Bisher war es immer anders herum, aber es wird Zeit, das zu ändern.«

    10
    Es ist viel angenehmer, einen Feind im Auto sitzend zu beschatten, als sich dabei im Freien aufzuhalten. Abgesehen davon, daß mich das Auto beweglich macht, bietet es mir auch ein gewisses Maß an Bequemlichkeit. Ständig habe ich ein Dach über dem Kopf, und nachts kann ich den Sitz umlegen und schlafen. Ich habe mir ein Kissen und eine Decke gekauft. Es ist richtig gemütlich in meiner kleinen Wohnung auf vier Rädern. Glücklicherweise hält das warme Wetter draußen an. Die Abende sind kühl, aber in meine Decke gewickelt machen sie mir nichts aus. In Maßen – denn ich will ja die Batterie nicht völlig entleeren – kann ich sogar Radio hören. Vor allem: Ich bin weg von der Straße. Mein ständiges Herumlungern am Friedhof und an der Bushaltestelle fing an, auffällig zu werden. Zumal ich aussah wie ein Clochard und stank wie eine Müllhalde. Nun parkt mein Auto in einer langen Reihe anderer Autos, unauffällig und sehr zivilisiert. Vorüberkommende sehen einen gepflegten Mann darin sitzen, der meistens Zeitung liest. Die meisten schauen aber nicht einmal hinein. Ich errege keinen Abscheu mehr und kein Mitleid. Nicht mal Interesse. Das macht mich sehr ruhig.
    Der Besuch bei Lydia war einer der hervorragendsten Einfälle, die ich je hatte. Als ich sie auf meine Liste schrieb und einen Kreis um ihren Namen zog, muß ich eine Ahnung gehabt haben. Und irgendwann fiel mir dann schlagartig ein, daß sie genau das war, wonach ich gesucht hatte: Besitzerin eines Autos. Alleinstehend und völlig vereinsamt. Lydia, das wußte ich, könnte sterben, und es würde Wochen dauern, ehe es jemand bemerkt. Das bedeutete, Lydia könnte gefesselt in ihrer Wohnung liegen, und ich
könnte mit ihrem Auto herumfahren, und es würde ebenfalls Wochen dauern, ehe es jemand bemerkt. Günstiger konnten die Dinge nicht liegen.
    Ich habe Lydia nie gemocht, aber es gab keinen Grund, sie umzubringen. Alt, fett, häßlich und lästig zu sein ist ja kein Verbrechen. Ich habe sie schön verschnürt in ihrem Wohnzimmer zurückgelassen. Ich habe einen großen

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