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Der Verehrer

Der Verehrer

Titel: Der Verehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten, bis ich Ende Februar in der Zeitung eine Anzeige las, daß eine private Pflegedienstinitiative weitere Mitarbeiter suchte. Ich dachte, das könnte etwas Dauerhaftes sein, außerdem kam man in die verschiedensten Häuser und erfuhr den neuesten Tratsch der Gegend immer am schnellsten. Ich hatte keinerlei Referenzen, aber ich behauptete, ich hätte meine kranken Eltern bis zu deren Tod gepflegt und sei besessen von dem Wunsch, anderen zu helfen. Die alte Schachtel, die das Einstellungsgespräch führte, schmolz
dahin. Nicht nur, weil ich so viel Güte verströmte, sondern auch, weil ich ihr Blicke schenkte, die ihr die Farbe in die Wangen trieben. Natürlich konnte sie mich – unausgebildet, wie ich war – nicht als Pfleger einstellen, aber sie brauchte jemanden, der Essen in die Häuser brachte, alte Menschen zum Arzt fuhr oder sonstige Botengänge erledigte. Es gab einen Hungerlohn dafür, aber das Geld reichte für den Moment, um durchzukommen.
    Ich bekam ein Auto zur Verfügung gestellt und kutschierte in den Dörfern herum, brachte warmes Essen zu alten Knackern, räumte ihre Wohnungen auf, putzte, schob den einen oder anderen im Rollstuhl spazieren. Die meisten waren äußerst redselig und trotz ihres desolaten Zustands, der sie in jeder Großstadt in die absolute Vereinsamung getrieben hätte, ziemlich gut über alle Neuigkeiten ringsum informiert.
    Ich dachte, wenn Anna Heldauer nach sechs Jahren Abwesenheit nach Hause zurückkehrt, erfahren die das, und dann erfahre ich das!
    Aber dann kam es noch viel besser: Lisa Heldauer forderte Hilfe zur Pflege ihres schwerkranken Vaters an. Sie brauchte jemanden, der ihn ab und zu aus dem Bett hob, und ich war derjenige, der für genau solche Aufgaben engagiert worden war. Dadurch ging ich nun mehrmals in der Woche in Annas Elternhaus aus und ein.
    Die ganze Zeit überlegte ich, wie sich unsere Begegnung gestalten würde. Sowie sie mich im Haus ihres Vaters erblickte, würde sie schreien oder hysterisch werden, und das würde ihre Schwester auf den Plan rufen. Im Handumdrehen wäre heraus, daß ich mich dort eingeschlichen und zudem einen falschen Namen angegeben hatte. Ich machte Pläne, wie es mir gelingen könnte, das Haus ungesehen zu verlassen, sowie sie auftauchte. Möglich wäre
auch, sie käme nachts an und öffnete mir am nächsten Morgen arglos die Tür … Ich sah eine Menge Schwierigkeiten vor mir, und dann war alles so einfach, so lachhaft einfach. Sie schwankte die Straße entlang, frühmorgens, an jenem windigen Tag, schwankte deshalb, weil sie einen riesigen Koffer schleppte, den sie ständig von einer Hand in die andere wechselte. Ich kam mit meinem kleinen Auto dahergetuckert, auf dem Weg zu ihrem langsam dahinsiechenden Vater, und sie drehte sich hoffnungsvoll um, als sie das Motorengeräusch hörte, ließ den Koffer fallen und streckte den Daumen raus. Mein Gesicht hinter der Windschutzscheibe erkannte sie offensichtlich nicht.
    Erst als ich anhielt, die Beifahrertür aufstieß und »Hallo, Anna!« sagte, kapierte sie, wem sie da begegnet war. Sie guckte wie eine Kuh, wenn’s donnert, dann fingen ihre Augen an zu flackern, und sie schaute sich mit gehetztem Blick nach Hilfe um. Wäre irgendwo ein anderes Auto aufgetaucht, ich glaube, sie hätte sich davorgeworfen in ihrer Panik. Es ließ sich aber kein Auto blicken. Ringsum gab es nur Wiesen, dunkelgrüne, saftige, üppige Maiwiesen, deren Gräser sich im Wind bogen und naß glänzten vom Regen. Ein Stück weiter vorn begann der Wald, und erst dahinter, gut eineinhalb Kilometer weiter, lag dann das Dorf, ihr Heimatdorf. Sie war so nah am Ziel!
    »Komm, steig ein«, sagte ich, »ich fahre dich nach Hause. Eher fällst du tot um, als daß du es mit dem Koffer bis dorthin schaffst!«
    Das klang harmlos, doch ich meinte es wortwörtlich. Sie hatte noch eine knappe halbe Stunde zu leben.
    Ich weiß gar nicht mehr genau, ob sie letzten Endes freiwillig ins Auto stieg oder ob ich sie mit Gewalt hineinbeförderte. Am Ende saß sie jedenfalls drin.
    Ihren Koffer hatte ich im Kofferraum verstaut. Ich nahm
ihn später mit nach Ascona, hängte all ihre Sachen in den Schrank. Das gab mir ein Gefühl, als sei sie noch da.
    Ich weiß nicht mehr genau, was im Wald geschah. An das scharfe Messer, das ich bei mir trug (hatte ich die Tat geplant ?), erinnere ich mich, an das Blut und eben daran, daß sie meinen Schuh festhielt, als sie starb. Ich wollte sie nicht einfach

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