Der Verehrer
Topf mit Fleischbrühe und mehrere offene Flaschen mit Mineralwasser vor sie hingestellt, jeden Behälter mit mehreren Strohhalmen versehen. In die vielen Pflaster, die ihren Mund verpappen, und in den Verband, der als Sicherheit noch drum herumgewickelt ist, habe ich vorne ein kleines Loch geschnitten. Rufen oder gar schreien kann sie damit nicht. Mit etwas Geduld und Geschicklichkeit kann sie aber einen Strohhalm dazwischenschieben und dann trinken. Ich habe es sie ausprobieren lassen, es geht. Eine Weile kann sie so überleben, die arme alte Schachtel. Was dann wird, wenn Leona und ich längst im Ausland sind, weiß ich nicht. Aber ich habe ihr auf jeden Fall eine faire Chance gegeben.
Schön, eine Scheckkarte zu haben und jederzeit Bargeld abheben zu können! Ich habe mir Lydias Kontoauszüge ausdrucken lassen; ich will wissen, was sie hat, denn ich möchte nicht durch ungewohntes Überziehen jemanden aufmerksam machen. Wie ich Lydia einschätze, überzieht sie so gut wie nie und sieht sich ab fünfzig Mark im Minus schon am Rande der Existenzgefährdung.
Die Alte kriegt ja keine allzu hohe Rente, aber es befinden sich immerhin fast sechseinhalbtausend Mark auf ihrem Konto. Damit kann ich eine ganze Zeit gut leben, ohne mir Sorgen um Benzin, Essen und so fort machen zu müssen. Jeden Tag, wenn Fabiani in der Uni ist, gehe ich ins Schwimmbad. So, wie ich jetzt aussehe, wirft mir die
Frau an der Kasse keine schiefen Blicke mehr zu. Trotzdem wechsle ich die Badeanstalten und sehe zu, mein Gesicht immer ein wenig im Schatten zu halten. Ich darf nicht vergessen, daß noch immer nach mir gefahndet wird – und zwar sicher mit Hochdruck, denn ewig wollen sie wohl die arme kleine Leona nicht in ihrem Versteck sitzenlassen.
Im Schwimmbad drehe ich ein paar Runden – habe mir eine schöne, neue Badehose gekauft! –, dann dusche ich ausgiebig , wasche meine Haare, rasiere mich. Ich habe jetzt einen Packen frischer Wäsche und ein paar Hemden zum Wechseln. Mein Rasierwasser ist teuer, und es ist zudem Leonas Lieblingsduft. Ich weiß das, weil sie es mir einmal gesagt hat. Ich bin absolut vorbereitet, ihr gegenüberzutreten und sie von neuem zu gewinnen. Wenn nur Fabiani, dieser Geier, endlich seinen Hintern hochbekäme und mich zu ihr führte! Manchmal, in dunklen Momenten, habe ich Angst, daß ich doch die falsche Person beschatte. Zweimal war ich drauf und dran, meinen Beobachtungsposten nach Lauberg vor das Haus von Leonas Familie zu verlegen. Aber dann wieder warnte mich eine innere Stimme, dies sei ein Fehler. Die Stimme sagte mir, daß ich schon richtig entschieden hätte. Ich bemühe mich nach Kräften, ihr zu vertrauen. Eigentlich hat sie mich nie enttäuscht. Sie sagte mir damals, Anna würde nach Hause gehen zu ihrer Familie, und wenn ich dort auf sie wartete, könnte ich sie nicht verfehlen. Und als ich schon kurz davor war aufzugeben, kam Anna tatsächlich und lief mir geradewegs in die Arme.
Ich denke jetzt oft an Anna. Ich denke an sie, um nicht an Eva zu denken. Dabei war auch Anna eine bittere Erfahrung, aber Eva war die bitterste. Von Eva abgewiesen zu werden hat mich wirklich verletzt. An einer Stelle, die mir unheimlich ist, weil ich sie nicht fassen, nicht einmal
benennen kann. Seele sagt man wohl dazu, was immer das letztlich ist. Es ist jedenfalls der Bereich im Menschen, der nie heilt, wenn er einen wirklichen Schlag abbekommen hat. Er tut weh bis ans Lebensende und vielleicht noch darüber hinaus. Anna hat mich auch getroffen, aber es muß woanders gewesen sein, denn diese Wunde schmerzt nicht mehr. Vielleicht hat Annas Blut das Gift davongeschwemmt. Mit Anna war ich fertig in dem Moment, da sie tot vor meinen Füßen lag, die Hände noch im Todeskampf um meine Schuhe gekrallt.
Eva konnte ich nicht töten. Man kann die eigene Schwester nicht töten. Man kann alles mit ihr machen, aber niemals kann man zusehen, wie das Blut aus ihr herausströmt und alles ertränkt ringsum, auch den Schmerz.
Während ich so im Auto sitze, sehe ich oft Annas Gesicht vor mir, das Gesicht, das sie machte, als sie mich an jenem Morgen auf der Straße zu ihrem Heimatdorf wiedersah. Ein windiger, kühler Frühsommertag. Ich war, wie gesagt, schon dicht davor aufzugeben.
Ich haßte es, ihren Vater zu waschen und zu füttern und sein verdrecktes Bett neu zu beziehen, aber diesen Job ergattert zu haben war ein so einmaliger Glücksfall, daß ich entschlossen war durchzuhalten. Ich hatte mich seit Mitte Januar mit
Weitere Kostenlose Bücher