Der Verehrer
Kindheitserinnerung gewesen – lag vor
ihr. Das Wasser brackig wie eh und je, die Bäume ringsum so hoch und dicht, daß kaum Sonne zwischen ihnen hindurchdrang. Das Laub glänzte in hellem, frischem Grün, hatte noch nicht seine letzte Dichte erreicht. Im Hochsommer würde es hier noch schattiger und dunkler sein.
Ein paar Jugendliche aus dem Dorf, fünf junge Männer, saßen auf Baumstümpfen, die sich am Rande des Weihers um eine Feuerstelle herum gruppierten, eine Art Grillplatz offenbar, im Sommer vermutlich ein beliebtes Ausflugsziel und Samstagabendtreff. Die Jungs hatten ein paar Bierflaschen und Coladosen um sich herum aufgebaut, rauchten und beobachteten höchst interessiert die Ankunft der Fremden.
Leona kümmerte sich nicht um sie. Sie stellte ihren Korb neben einen der wenigen sonnigen Flecken, die es hier gab, kramte ihren Badeanzug hervor, zog sich im Schutz eines Gebüsches um und watete mutig ins Wasser.
Das Wasser war so kalt, daß ihr von den Knöcheln her sofort Kältewellen den Körper hinaufrasten. Mit den Füßen versank sie tief im Schlick.
Verdammt, dachte sie. Sie wäre umgekehrt, hätte sie keine Zuschauer gehabt.
»Guckt mal, die Tante geht wirklich rein!« schrie einer der jungen Kerle begeistert.
»Paß auf, daß du keinen Kälteschock kriegst!« rief ein anderer und wollte sich totlachen über diese Bemerkung.
Typisch, dachte Leona mit einiger Verbitterung, wenn man erst über dreißig ist, halten diese Achtzehnjährigen einen für ein Fossil!
»Da gibt’s Krokodile!« rief ein anderer, bemüht, seine Kumpels zu übertrumpfen. »Seien Sie bloß vorsichtig , Lady!«
Sie biß die Zähne zusammen und ließ sich ins Wasser
gleiten. Es hätte sie nicht verwundert, wenn Eisblöcke auf sie zugeschwommen wären, so kalt war es. Ihr Mut wurde von den Jugendlichen mit Begeisterungsrufen kommentiert. Mit kräftigen Armbewegungen teilte sie das braune Wasser. Es roch wie früher. Es schmeckte wie früher, wenn es an die Lippen kam. Es war so kalt und moorig wie früher.
Der Unterschied war: Sie trug keine Schwimmflügel mehr. Es stand kein besorgter Erwachsener mehr am Ufer, der sie ohne Unterlaß im Auge behielt. Es lungerten nur ein paar Jungs herum, die sich keine ihrer Bewegungen entgehen ließen, die sie anstarrten, weil sie eine schöne Figur hatte, einen sehr eleganten Badeanzug trug und ein beträchtliches Maß an Selbstüberwindung bewiesen hatte, als sie sich in das kalte Wasser wagte.
Sie legte sich auf den Rücken, paddelte mit den Beinen, schaute hinauf in das Himmelsblau zwischen den Baumkronen. Sie hatte lange nicht mehr darüber nachgedacht, was es bedeutete, erwachsen zu sein, frei zu sein. Es war einfach so. Irgendwann wurde man selbständig , man konnte für sich selbst sorgen, man brauchte keine Schwimmflügel mehr und niemand verlangte, man solle endlich aus dem Wasser kommen, weil es zu kalt sei. Und dann, ehe man sich versah und oft ohne daß man es richtig bemerkte, kam ein Mensch daher und baute Stück um Stück dieser kostbaren Freiheit ab. In den meisten Fällen ein Partner, mit dem man sich aus Liebe eingelassen hatte, dessen Bedürfnisse man nun erfüllen sollte, ob man selbst im Einklang damit stand oder nicht. Oder – Gott sei Dank in den weitaus selteneren Fällen – war es ein Psychopath, vor dem man sich verstecken mußte.
Leona wandte sich wieder auf den Bauch, teilte das Wasser mit kräftigen Stößen, durchmaß den Weiher von einer
Seite zur anderen und wieder zurück. Ihr wurde immer wärmer, und sie fühlte sich immer stärker.
Als sie schließlich aus dem Wasser stieg, ging ihr Atem schneller, und ihre Wut auf Robert hatte sich so gesteigert, daß sie furchtlos und mit bloßen Fäusten auf ihn losgegangen wäre, hätte er sich in diesem Moment vor ihr blicken lassen.
Sonntag abend, dachte sie, während sie sich in ihr Badetuch hüllte und ein Sandwich aus ihrem Korb kramte, Sonntag abend fahre ich zurück. Am Montag gehe ich zur Arbeit, und gnade ihm Gott, wenn er noch einmal versucht, mich einzuschüchtern!
Die Jugendlichen glotzten sie an, und sie lächelte ihnen gedankenverloren zu.
Als sie am Abend nach Hause kam, müde und zugleich von neuen Energieströmen durchpulst, sah sie ein Auto vor dem Haus stehen. Stirnrunzelnd betrat sie den Garten und ging um das Gebäude herum. Auf den hölzernen Stufen, die von der Veranda herunterführten, saß Bernhard Fabiani im Abendsonnenschein und starrte mißmutig vor sich hin. Sein
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