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Der Verehrer

Der Verehrer

Titel: Der Verehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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durcheinander, das mußt du verstehen. Wolfgang war jahrelang mein Schwiegersohn. Ein Teil unserer Familie. Nun ist er plötzlich weg. Mich macht das sehr traurig.«
    Leona sah sich in der etwas absurden Situation, ihre Mutter für einen Verlust trösten zu müssen, den in erster Linie sie selbst erlitten hatte. Die Mustertochter hatte dem Lebensgefüge der Eltern einen empfindlichen Schlag versetzt. In Leonas Augen wurde dies jedoch dadurch gemildert, daß sie wenigstens sofort einen Ersatz hatte präsentieren können.
     
    Es war alles perfekt: das alte, verwinkelte Haus, geschmückt mit Kerzen und Tannenzweigen; ein großer, glitzernder Baum im Wohnzimmer; Feuer im Kamin; der Geruch nach gutem Essen; Schneeflocken vor den Fenstern. Felix, Carolins Sohn, spielte hingerissen mit seinen neuen Spielsachen. Dany saß behäbig und friedlich in einer
Ecke, wiegte leise summend den Oberkörper vor und zurück und schmierte sich Schokoladenlebkuchen ins Gesicht. Carolins Freund Ben hatte zur Feier des Tages ein weißes Hemd angezogen, trank reichlich von dem alten Portwein, den Julius freigiebig ausschenkte, und nervte niemanden mit seinen Theorien zum Verbessern der Welt. Paul und Olivia fehlten im Familienkreis; sie waren in ein Skihotel nach Österreich gefahren. Paul hatte seiner Frau die Reise zu Weihnachten geschenkt, und alle wußten, daß dies sein verzweifelter Versuch war, die marode Ehe zu retten. Elisabeth hatte Leona anvertraut, daß es wegen der Reise heftige Auseinandersetzungen zwischen den beiden gegeben hatte, weil Olivia natürlich nicht ohne Dany hatte fahren wollen.
    »Ich habe dann sehr lange mit ihr gesprochen«, sagte Elisabeth, »und ihr erklärt, daß sie diesmal nachgeben müsse. Sie verliert Paul sonst. Ich spüre, daß er das nicht mehr lange mitmacht.«
    »Niemand könnte auf Dauer ertragen, was Olivia wegen Dany aufführt«, meinte Leona. »Ich finde, daß Paul ohnehin eine Engelsgeduld bewiesen hat.«
    Es herrschte eine angenehmere Atmosphäre im Haus ohne Paul und Olivia. Die Spannungen zwischen den beiden waren stets greifbar und präsent. Jede Sekunde hatte man eine Eskalation zu befürchten.
    Carolin schoß mit ihrem Geschenk für Leona den Vogel ab: In einem Korb überreichte sie ihr zwei junge Katzen. Die eine war grau getigert, die andere hatte schwarzes Fell und ein weißes Ohr.
    »Für dich«, sagte sie, »du brauchst ein bißchen Leben im Haus. Ich habe sie gerettet. Der Bauer wollte sie umbringen. «
    Die beiden Katzen sorgten bei allen Anwesenden für Begeisterungsstürme.
Jeder wollte sie streicheln, halten, mit ihnen spielen. Schließlich saß beinahe die ganze Familie einträchtig am Boden, kugelte Tischtennisbälle herum und ließ Bindfäden im Zickzack über den Teppich tanzen. Leona sah einmal auf, zu ihren Eltern hin, die nebeneinander vor dem Kamin saßen. Elisabeth und Julius hatten jeder ein Weinglas in der Hand und beobachteten lächelnd das muntere Treiben zu ihren Füßen, aber es lag auch eine Traurigkeit auf ihren Gesichtern, die Leona einen Stich versetzte. Elisabeth und Julius begannen, an ihrer mühsam errichteten, so lange beharrlich verteidigten Idylle zu zweifeln.
    Und ich, dachte Leona, fühle mich schuldig daran.
    Sie spürte, daß jemand ihren Arm drückte, und wandte sich um. Robert lächelte ihr aufmunternd zu. Er hatte bemerkt, daß sie für Sekunden in düstere Gedanken abge-taucht war. Dankbar erwiderte sie sein Lächeln. Nie hatte sie einen Mann mit so feinen Antennen erlebt. Wolfgang hätte ihre Stimmungsschwankung nicht bemerkt.
    Dafür wäre Wolfgang aber auch nie drei Wochen lang verschwunden geblieben, ohne ihr eine Nachricht zukommen zu lassen. Wolfgang war immer die Zuverlässigkeit in Person gewesen – was ihn schließlich aber nicht gehindert hatte, seine Frau ein halbes Jahr lang zu hintergehen und zu betrügen.
    Man durfte einfach nicht vergleichen. Wolfgang und Robert waren zwei völlig verschiedene Männer. Robert, entschied Leona, war ein Künstler. Ein wenig undiszipliniert, leichtfertig, schwer in ein System einzuordnen. Es hatte nichts zu bedeuten, wenn er drei Wochen lang vergaß anzurufen. Er war eben so. Leona spürte an diesem Heiligabend eine völlige Bereitschaft, ihm zu verzeihen und die Geschichte für immer abzuhaken.

    Die Inszenierung des Weihnachtsmärchens bewahrte ihren Zauber für die nächsten Tage. Es wurde immer kälter, und immer wieder schneite es. Leona ging mit Robert in den silberweißen Wäldern spazieren und

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