Der Verehrer
fallen. Plötzlich fühlte sie sich sehr erschöpft. »So geht das nicht«, murmelte sie.
Erschrecken malte sich auf seine Miene.
»Was meinst du? Mit uns geht es so nicht? Du willst Schluß machen?«
»Ich weiß nicht. Auf jeden Fall kannst du nicht einfach sagen, es tut dir leid, und damit ist alles in Ordnung. Du mußt mir erklären, was in dir vorgegangen ist. Was du dir gedacht hast!«
»Nichts«, sagte er schlicht, »ich glaube, ich habe gar nichts gedacht.«
Sie merkte, wie schon wieder die Wut in ihr hochkochte.
»Und das ist in deinen Augen eine Entschuldigung? Du
hast eben gar nichts gedacht, und damit ist es in Ordnung? «
»Ich habe mich entschuldigt.«
»Du hast mir nichts erklärt !«
Er machte eine hilflose Handbewegung.
»Vielleicht … hatte ich irgendwie eine andere Vorstellung. Nicht so von Telefonieren, Anmelden, Abmelden …«
Er brachte es fertig, daß sie sich auf einmal elend fühlte. Spießig. Kleinkariert. Klammerte sie schon zu sehr? Verfiel sie genau in das Fehlverhalten, in das Menschen gerieten, wenn ihr Tun und Lassen nicht mehr von Vernunft und Selbstbewußtsein bestimmt wurde, sondern von Angst und Verletztheit? Der sicherste Weg, einen anderen Menschen zu verlieren …
»Ich habe mir Sorgen gemacht«, sagte sie schwach. Sie hatte vorgehabt, ihn hinauszuwerfen. Aus diesem Haus, aus ihrem Leben. Sie fühlte, daß sie die Kraft dazu nicht finden würde.
Er war sofort neben ihr, ihre Schwäche und seine daraus resultierende Chance witternd, und nahm ihre Hände. Er zog sie vom Stuhl hoch, so daß sie dicht vor ihm zu stehen kam.
»Es passiert nicht mehr, Liebste«, flüsterte er, »ich schwöre, es passiert nicht mehr. Gott, wie habe ich dir das antun können! Natürlich hast du dir Sorgen gemacht. Ich bin ein Egoist, daß ich daran nicht gedacht habe …«
Seine Worte tropften wie Balsam auf ihre wunde Seele. Seine Küsse lösten die Starre, in der sie ihre Wut aufrechtzuerhalten gesucht hatte. Die Erinnerung an die Einsamkeit der letzten Wochen überschwemmte sie. Sie wollte ihn nicht verlieren.
»Ich mach’ dir was zu essen«, flüsterte sie.
Er schüttelte den Kopf, lächelte.
»Ich habe eine viel bessere Idee.«
Sie schloß die Augen.
Am vierundzwanzigsten Dezember fuhren sie in Leonas Auto nach Lauberg, in das Heimatdorf Leonas, und dort wurde die überraschte Familie mit zwei Neuigkeiten konfrontiert: mit der Tatsache, daß Leona seit drei Monaten von Wolfgang getrennt lebte, und mit der frohen Botschaft, daß es bereits einen neuen Mann an ihrer Seite gab, Robert, den sie nun auch gleich allen vorstellte. Sie konnte sehen, daß ihre Eltern entsetzt waren über die Trennung von Wolfgang, aber aus Gründen des Taktes mußten sie ihre Kommentare zurückhalten, da sie ihre Verstörtheit natürlich nicht vor Robert zeigen durften.
Erst am Abend, kurz vor der Bescherung , erwischte Elisabeth ihre Tochter allein.
»Warum hast du denn nie etwas gesagt? Seit drei Monaten …«
»Seit dem einundreißigsten August.«
»Ihr wart schon getrennt, als du im September hier warst? Deshalb kam er also nicht mit. Warum hast du uns da belogen?«
»Ich habe euch nicht belogen. Ich konnte nur damals noch nicht darüber sprechen.«
Leona merkte, daß ihre Mutter verletzt war. Sie legte den Arm um ihre Schultern.
»Mami, versteh das doch bitte! Ihr hättet mich alle bemitleidet und euch Sorgen gemacht. Das wäre alles noch viel schlimmer für mich gewesen.«
»Ich hätte nie gedacht, daß es so weit kommen könnte«, murmelte Elisabeth, »du und Wolfgang auseinander … es ist so unfaßbar!«
Glaubst du, für mich nicht? hätte Leona gern gefragt,
aber sie schluckte die Bemerkung hinunter. Keine Gereiztheit, ermahnte sie sich, sie ist verstört genug.
»Woher kennst du deinen neuen Verehrer?« fragte Elisabeth, und das altmodische Wort klang eigenartig, wenn man die Intensität bedachte, die ihrer beider Beziehung inzwischen erlangt hatte. Leona hatte beschlossen, nicht zu erwähnen, daß ihre Begegnung mit Robert in Zusammenhang mit dem Selbstmord seiner Schwester stand.
So sagte sie nur: »Ich habe ihn bei einer gemeinsamen Bekannten kennengelernt.«
»Dann ging das ja alles offenbar recht schnell …«
»Ich habe großes Glück gehabt«, sagte Leona.
Ihre Mutter seufzte.
»Hast du was gegen Robert?« fragte Leona sofort.
»Er gefällt mir«, antwortete Elisabeth, »er ist nett und höflich und sieht sehr gut aus. Es ist nur … ich bin noch völlig
Weitere Kostenlose Bücher