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Der Verehrer

Der Verehrer

Titel: Der Verehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Schulabschluß zu kümmern. Jetzt kann sie nicht weg von daheim, weil sie keine Ahnung hat, wovon sie und ihr Kind leben sollen.«
    »Und ihr Freund schmarotzt sich bei deinen Eltern durch.«
    »Freund Nummer zweihundert. Sie liest die eigenartigsten Typen auf, schleppt sie ins Haus, läßt sie eine Weile durchfüttern und trennt sich wieder von ihnen. Ben hält sich schon erstaunlich lange. Letztlich wird er aber genauso
in der Versenkung verschwinden wie alle seine Vorgänger. «
    Robert wandte sich ihr zu und nahm ihre beiden Hände in seine.
    »Dann bist du also die gute Tochter!«
    Leona verzog das Gesicht. »Mehr oder weniger. Zur Zeit eher weniger. Die Trennung von Wolfgang hat meine Eltern ganz schön geschockt. Ich war doch das Vorzeige-Kind. Das Kind, bei dem ihre Saat aufgegangen ist.«
    »Du bist eine attraktive, erfolgreiche Frau, Leona. Und die bleibst du auch – mit oder ohne Wolfgang. Dir ist da eine Sache im Leben schiefgegangen – na und? Jetzt hast du mich. Und ich werde dich nie verlassen. Hier«, er kramte in der Tasche seines Mantels und zog ein kleines Päckchen hervor, »hier habe ich noch ein Weihnachtsgeschenk für dich.«
    »Das geht nicht«, protestierte Leona, »du hast mir schon so viel geschenkt!«
    »Pack es aus!«
    Sie mußte ihre Handschuhe ausziehen, um die Schleife zu lösen und das Papier zu entfernen. Eine kleine, dunkelblaue Schmuckschachtel kam zum Vorschein. Sie öffnete sie. Auf blauem Samt glänzte ein goldener Ring. Statt eines Steins trug er ein kleines geschwungenes R aus Weißgold.
    »Wie schön«, flüsterte Leona.
    Robert nahm den Ring aus der Schachtel, zog Leonas rechte Hand zu sich heran und steckte ihr vorsichtig den Ring an den Finger. Er paßte wie maßgefertigt.
    »Ich möchte, daß du ihn immer trägst, Leona. Tag und Nacht. Er ist ein Pfand unserer Liebe. Er bindet uns für alle Zeiten unlösbar aneinander.«
    »Natürlich werde ich ihn immer tragen! Wo hast du ihn nur her?«

    »Aus Italien.« Er lächelte. »Ich habe ihn extra anfertigen lassen. Das hat einige Zeit gedauert, deshalb war ich so lange fort.«
    Und sie hatte ihn mit Wut und Vorwürfen empfangen bei seiner Rückkehr! Auf einmal schämte sie sich. Kleinlich und engstirnig hatte sie sich benommen …
    »Es tut mir leid«, murmelte sie.
    Inzwischen war es schon so dunkel geworden, daß sie sein Gesicht nur noch schemenhaft erkennen konnte. Aber er schien wieder zu lächeln.
    »Nichts«, sagte er, »gar nichts muß dir leid tun. Sei einfach glücklich, daß wir zusammen sind. Daß wir einander gefunden haben.«
    Er nahm ihren Kopf in beide Hände. Seine Finger gruben sich in ihr Haar.
    »Ich liebe dich«, flüsterte er.
    »Ich liebe dich auch«, sagte Leona.
    »Es ist so schön«, murmelte er, »deine Haare werden wieder länger.«
    Er sagte das in dem gleichen Ton, in dem er »Ich liebe dich« gesagt hatte, und Leona brauchte einen Moment, um den Themenwechsel nachvollziehen zu können. Ihre Haare?
    Sie wich etwas zurück. Weiße Atemwölkchen quollen zwischen ihren beiden Gesichtern.
    »Meine Haare? Liegt dir so viel daran?«
    Sein Nicken konnte sie nur ahnen.
    »Sie waren so schön. Sie waren das, worin ich mich zuallererst verliebt habe. Golden und glänzend, über deinen ganzen Rücken flossen sie …«
    »Weißt du, Robert«, sagte sie, auf sein Verständnis vertrauend, »ich bin mir nicht sicher, ob ich die Frau mit den langen Haaren jemals wieder sein kann. Es ist … irgendwie
scheint es mir nicht mehr passend. Ich weiß gar nicht genau, ob ich sie wieder wachsen lassen will.«
    »Du tust es für mich«, sagte Robert.
    Er schien dies für einen ausreichenden Grund zu halten.
    Und den ganzen Abend lang dachte Leona über diesen Satz nach.
    10
    Eigenartig, wie sehr sie ihre Schwester vermißte. Wenn Vater tot ist, dachte Lisa, bin ich die letzte Überlebende dieser Familie.
    Diese Vorstellung hatte etwas Erschreckendes für sie, rief in ihr die Assoziation mit dem letzten Passagier auf einem sinkenden Schiff wach. Einsam, verlassen, völlig auf sich gestellt, den unberechenbaren Elementen ringsum preisgegeben.
    Mein Leben ist kein untergehendes Schiff, sagte sie sich wieder und wieder, und um mich herum tobt nicht ein alles verschlingendes Meer!
    Aber letzten Endes sahen genau so die düsteren Empfindungen in ihrer Seele aus, und es gelang ihr nicht, sie durch Vernunft und Sachlichkeit zu vertreiben.
    Anna war nie da, wenn ich sie brauchte! Die ganzen letzten Jahre mußte ich mit allem

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