Der Verehrer
mein Büro kommen können? «
Ein kurzes, unsicheres Flackern glomm in seinen Augen auf.
»Wieso? Wieso soll ich schon so früh gekommen sein?«
»Na ja, du hast drei Kaffee und zwei Cognac getrunken. Das schafft man nicht in einer Viertelstunde.«
»Und daraus machst du mir jetzt einen Vorwurf?«
Sein scharfer Ton verwirrte sie. »Nein – natürlich nicht. Ich wundere mich bloß.«
Er sah sie kalt an. »Du bist Lektorin in einem Verlag, Leona. Du arbeitest also mit Schriftstellern, nicht wahr? Du hast praktisch jeden Tag mit ihnen zu tun, stimmt’s? Weißt du, was mich wundert? Daß du trotz allem so wenig verstehst von Künstlern oder von Menschen, die künstlerisch tätig sind. Besitzt du nicht eine Spur von Einfühlungsvermögen? «
Leona starrte ihn an. Carolin ließ ihre Gabel sinken.
»Wie bitte?« fragte Leona.
»Ich bin natürlich nur ein kleiner Übersetzer«, fuhr Robert fort, »aber vielleicht könntest du mir trotzdem zugestehen, daß auch ich im weitesten Sinn künstlerisch tätig bin.«
»He, Robert, könntest du uns mal erklären, worauf du hinauswillst?« mischte sich Carolin ein.
Er musterte sie feindselig, ehe er sich wieder Leona zuwandte.
»Manchmal brauche ich einfach eine Pause. Manchmal halte ich es nicht mehr aus – immer in demselben Zimmer, immer über einen Papierberg gebeugt, immer nach Worten suchend, um Ausdrücke ringend … Dann muß ich raus. Durch die Stadt laufen, mir den Wind um die Nase wehen lassen, Menschen sehen, spielende Kinder oder schnuppernde Hunde beobachten …«
»Das verstehe ich vollkommen, Robert«, sagte Leona in besänftigendem Ton.
Er hatte sich jedoch in Rage geredet und mochte sich nicht beschwichtigen lassen.
»Und diesmal hatte ich das Bedürfnis, mich in ein Café zu setzen, Zeitung zu lesen, Kaffee zu trinken und ein wenig dem Leben und Treiben ringsum zuzusehen. Aber das ist natürlich unmöglich in deinen Augen! Am hellichten Vormittag zwei Stunden in einem Café zu sitzen. Nichts zu tun! Und vermutlich glaubst du sogar, ich spioniere dir nach, weil ich gerade dieses Café gewählt habe!«
»Also, Robert, du spinnst«, sagte Carolin in ihrer direkten Art.
»Vielleicht können wir das Gespräch heute abend fortsetzen«, meinte Leona, die Roberts Ausbruch peinlich fand, zudem erschrocken und durcheinander war.
»Gern«, erwiderte Robert kühl.
Schweigend beendeten sie ihre Mahlzeit. Mit der letzten Gabel Spaghetti erhob sich Robert und sagte, er werde nach Hause gehen und arbeiten. Die beiden Schwestern blieben sitzen und sahen ihm durch das Fenster nach, wie er die Straße überquerte und davonging. Er hielt die Schultern sehr gerade, den Kopf hoch erhoben. Selbst von hinten sah er aus wie die personifizierte Gekränktheit.
»Habe ich denn irgendwie angriffslustig gewirkt mit meiner Frage?« wollte Leona wissen und rührte dabei nachdenklich und unglücklich in ihrem Cappuccino.
Carolin schüttelte heftig den Kopf. »Absolut nicht. Es war eine normale Frage, und der Typ hat völlig überreagiert. Wenn du meine Meinung wissen willst«, sie tippte sich an die Stirn, »der spinnt komplett. Du weißt ja, daß ich deinen Wolfgang immer etwas spießig fand, und …«
»Nach deinen Maßstäben ist jeder spießig, der einer geregelten Arbeit nachgeht«, unterbrach Leona aggressiv.
Carolin sah sie mitleidig an. »Also, sowohl nach meinen als auch nach deinen Maßstäben ist dieser Robert jedenfalls ziemlich durchgeknallt. Den würde ich abhalftern – je eher, desto besser!«
12
Nach dem Vorfall im Café blieb die Atmosphäre zwischen Robert und Leona frostig. Am Abend jenes Tages war Robert zwar wieder wie immer gewesen, hatte so getan, als sei nichts vorgefallen, aber Leona hatte nicht die Absicht, ihn so rasch und leicht davonkommen zu lassen. Sie erwartete eine Erklärung für sein Verhalten, und als keine erfolgte, stellte sie Robert von sich aus zur Rede.
Er war tief erstaunt. »Mein Gott, das war doch kein
Streit ! Ich habe mich angegriffen gefühlt und habe darauf etwas schroff reagiert. Liebe Güte! Machst du aus jeder Mücke gleich einen Elefanten?«
»Das sollte ich dich fragen! Du hast aus einer harmlosen Frage von mir ein Drama gemacht. Du bist unangenehm und ungerecht geworden!«
»Ich sagte doch, ich habe mich angegriffen gefühlt.«
»Da liegt ja genau das Problem«, sagte Leona und spürte einen leisen Schmerz vom Nacken hinauf in den Kopf ziehen. Sie war plötzlich erschöpft; wußte bereits, wie nutzlos dieses
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