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Der Verehrer

Der Verehrer

Titel: Der Verehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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hatte er sich mehrmals für sein unangemeldetes Hereinplatzen entschuldigt, zugleich am erwartungsvollen Leuchten ihrer Augen jedoch erkannt, daß sein Besuch sie keineswegs störte. In dem pudelwarmen Wohnzimmer lagen ein halbausgefülltes Kreuzworträtsel, ein Stift und eine Brille auf dem Couchtisch. Mittags um halb drei saß sie da und löste Kreuzworträtsel … Er begriff sofort die Einsamkeit und Leere ihres Daseins und wußte, sie würde ihn festhalten, solange sie konnte. Er hatte sich mühsam freigeschaufelt, mußte um vier wieder im Sender sein. Er mußte schnell zum Kern der Sache kommen.
    Sie machte es ihm leicht, sie fing nach ein paar Sekunden der Verlegenheit von selbst an wie ein Buch zu reden.
    Von Eva, von ihrer beider engen Freundschaft, von langen, gemeinsamen Abenden bei Kerzenlicht und Wein,
von Spaziergängen an den Wochenenden, gelegentlichen Ausflügen und Restaurantbesuchen, und daß sie, Lydia, manchmal für Eva in deren Wohnung saubergemacht habe, denn Eva sei ja manchmal etwas schlampig gewesen und habe nur schwer Ordnung halten können …
    »Das alles fehlt mir jetzt so sehr, verstehen Sie?«
    Er verstand, wußte aber nichts Tröstendes darauf zu sagen.
    »Ich mußte meine Arbeit als Sekretärin frühzeitig aufgeben. Mein Bluthochdruck hat mir so zu schaffen gemacht. Und ich habe ja keinen Mann und keine Kinder. Es gab mal einen, der wollte mich heiraten, aber dann kam eine andere, für die hat er sich dann entschieden. Sie wußte, wie man sich richtig toll zurechtmacht und den Männern die Köpfe verdreht, wissen Sie? – Ihr Kaffee wird ja kalt! Trinken Sie doch!«
    Er trank. Der Kaffee war zu stark, schmeckte bitter. Er trank sowieso nie Kaffee. Und er tat sonst auch solche Dinge nicht, wie er sie jetzt tat. Sich zu einer wildfremden Frau in die Wohnung setzen und für sie die Klagemauer spielen. Vor allem hätte er nie gedacht, daß er einmal seiner Frau hinterherspionieren würde, kleinkariert wie ein Vorstadtspießer, der Geheimnissen auf die Spur kommen will, die ihn nichts angehen. Zum erstenmal in seinem Leben empfand Wolfgang einen gewissen Ekel vor sich selbst.
    Im Verlauf der nächsten halben Stunde erfuhr er nichts, was von Bedeutung hätte sein können. Lydia kam auf Robert Jablonski zu sprechen, aber sie sagte nichts Nachteiliges über ihn. Ein netter Mann, groß, gutaussehend. Er hatte seine Schwester Eva dann und wann besucht.
    »Aber nicht allzuoft. Ist ja auch eine weite Reise von der Schweiz bis hierher.«
    Wolfgang neigte sich vor. »Schweiz? Er ist Schweizer?«
    »Er ist Deutscher, aber seine Eltern hatten ein traumhaftes Anwesen in Ascona, und dort sind er und Eva aufgewachsen. Er lebt heute noch dort.«
    »Was arbeitet er?« fragte Wolfgang.
    Lydia überlegte. »Ja … warten Sie … ach so, er übersetzt. Bücher. Für deutsche und italienische Verlage.«
    »Damit verdient man mehr als schlecht.«
    »Keine Ahnung. Aber er hat ja das Haus seiner Eltern verkauft. Das muß ihm eine Menge Geld gebracht haben.«
    Hatte es das? Oder war Geld der wunde Punkt in Jablonskis Leben? Hatte er es auf Leona abgesehen, weil sie in seinen Augen wohlhabend sein mochte? Das schöne, alte Haus in einer der teuren Frankfurter Gegenden …
    Nein. Wolfgang schüttelte den Kopf. Da gab es geeignetere Opfer als ausgerechnet Leona. Schließlich gehörte ihr das Haus nur zur Hälfte. Und war zudem noch lange nicht abbezahlt. Fakten, die Jablonski sicher längst herausgefunden hatte, wenn es ihm in dem ganzen Spiel um materiellen Gewinn ging.
    Lydia schenkte ihm Kaffee nach, ehe er abwehrend die Hand über seine Tasse halten konnte.
    »Roberts Freundin ist vor nicht allzu langer Zeit tödlich verunglückt«, sagte sie mit gedämpfter Stimme, der Tragik des Ereignisses angemessen, »ertrunken. Im Lago Maggiore.«
    Wolfgang blickte überrascht auf. »Ja?«
    »Ich wußte überhaupt nichts davon, stellen Sie sich das nur vor! Weder er noch Eva hatten mir davon erzählt. Ich habe es von Ihrer Frau erfahren, bei ihrem Besuch vor Weihnachten. Sie schien sich mit Robert getroffen zu haben. « Lydia kicherte. »Der war ganz fasziniert von ihr. Vom ersten Moment an. Er wollte gleich ihre Telefonnummer haben.«

    Wolfgang sagte sich deprimiert, daß er auf eine völlig idiotische Weise in einem nicht vorhandenen Problem herumstocherte. Robert Jablonski war ein ganz normaler Mann, ohne böse Absichten. Durch einen Zufall – keineswegs durch ein von ihm herbeigeführtes Ereignis – hatte er Leona

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