Der Verehrer
warum mich das eben so mitgenommen hat. Wahrscheinlich kommen in einem solchen Moment doch viele Erinnerungen hoch. Ach, ich bin einfach viel zu sentimental!«
Er drückte ihre Hand. »Das ist doch ganz natürlich. So eine Scheidung geht an niemandem spurlos vorüber. Du warst lange Jahre mit diesem Mann verheiratet.«
»Dreizehn Jahre …«
»Unsere Verbindung«, sagte Robert, »wird ein Leben lang halten.«
Der Wind heulte. Schneeflocken mischten sich in den Regen. Leona dachte, daß es an der Nässe und Kälte ringsum liegen mochte, weshalb ihr nicht warm wurde bei Roberts Worten.
Er legte den Arm um ihre Schultern.
»Du solltest dir Urlaub nehmen. Zehn Tage. Meinst du, das geht?«
»Jetzt?«
»Ich würde gern mit dir nach Ascona fahren. Ich finde, es wird Zeit, daß du meine Heimat kennenlernst.«
Das Telefon klingelte, kaum daß Leona am darauffolgenden Montagmorgen ihr Büro betreten hatte. Wolfgang war am Apparat.
»Meine Post ist gerade gekommen«, sagte er. »Ich habe gesehen, du hast die Scheidung eingereicht!«
»Ja. Letzte Woche.«
Leona klemmte den Hörer zwischen Kinn und Schulter und schälte sich aus ihrem Mantel. Ihre Haare waren naß und sicher völlig windzerzaust. Sie reichten jetzt gleichmäßig bis in Höhe der Mundwinkel und waren bei weitem nicht mehr so pflegeleicht wie zuvor als kurze Stoppeln.
»Und du meinst nicht, du hättest vorher mit mir darüber sprechen sollen?«
»Wieso? Daß wir uns scheiden lassen, stand doch schließlich fest!«
»Trotzdem hättest du mich nicht so überfahren müssen!«
Sie hatte ihn geschockt, das merkte sie, und das gab ihr ein gutes Gefühl von Überlegenheit.
»Du hast mich mit der Tatsache, daß du eine Geliebte hast und dich von mir trennen willst, auch ziemlich überraschend konfrontiert«, gab sie kühl zurück.
Wolfgang schwieg etliche Sekunden lang.
»Du klingst feindselig«, stellte er dann fest, »immer noch. Ich glaube, du wirst mir nie verzeihen.«
Sie hatte sich endlich ihres Mantels entledigt, ließ ihn auf den Boden gleiten und setzte sich auf ihren Schreibtischstuhl.
»Ach, Wolfgang, darauf kommt es doch gar nicht an! Ob ich dir verzeihe oder nicht – wen interessiert das? Du hast eine neue Partnerin, und ich habe einen neuen Partner. Die beiden haben einen Anspruch darauf, daß die Dinge zwischen uns geklärt werden.«
»Du sagst das so … kalt!«
»Ich sage das sachlich. Es ist wichtig, daß wir jetzt sachlich an die ganze Angelegenheit herangehen. Um so problemloser wird alles ablaufen. Meine Anwältin sieht jedenfalls keinerlei Schwierigkeiten.«
»Wirst du etwa immer noch von deinem eigenartigen Verehrer belagert?« fragte Wolfgang.
Leona überlegte, weshalb er in bezug auf Robert beharrlich den Begriff Verehrer verwandte. Aus seinem Mund klang das wie »Schmeißfliege«. Er versuchte offenbar zu verdrängen, daß es sich um eine ernste Beziehung handelte, die von zwei Seiten ausging.
»Robert und ich leben zusammen«, sagte sie, »und daran wird sich nichts mehr ändern.«
Wolfgang seufzte tief. »Er gefällt mir nicht, Leona.«
Leona lachte. »Vielleicht würde mir deine neue Partnerin auch nicht gefallen. Aber ich muß dich deine Entscheidungen selber treffen lassen.«
»Und ich dich deine, ich weiß. Ich meine nur … ach, das ist alles so schwierig am Telefon! Könnten wir uns nicht einmal treffen in den nächsten Tagen? Nur wir beide?«
»Ich habe wirklich furchtbar viel zu tun, Wolfgang. Gerade in dieser Woche, weil ich die nächste im Urlaub bin. Ich muß meinen Schreibtisch leer bekommen bis dahin – wenigstens weitestgehend.«
»Seit wann nimmst du im März Urlaub? Das hast du noch nie getan!«
»Robert will mir Ascona zeigen. Wir fahren am Samstag. «
»Leona, bitte, laß uns vorher noch reden«, drängte Wolfgang. »Es ist mir wirklich wichtig, mit dir zu sprechen!«
Sie kostete ihren Triumph diesmal bewußt aus.
»Wolfgang, leider ist es mir nicht mehr wichtig, mit dir zu sprechen«, sagte sie und legte den Hörer auf.
13
Lisa stand eine ganze Weile vor dem grauen Mehrfamilienhaus in der Münchener Innenstadt und trat von einem Fuß auf den anderen, ehe sie wagte, die Klingel neben dem kleinen Türschild mit der Aufschrift »Frederica Hofer« zu betätigen. Vielleicht war Frederica an diesem Samstagnachmittag gar nicht zu Hause. Oder sie wollte später ausgehen, badete oder duschte gerade und würde alles andere
als erfreut sein, wenn plötzlich unangemeldeter Besuch aufkreuzte.
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