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Der Verehrer

Der Verehrer

Titel: Der Verehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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überallhin kommen, wenn es kommen soll, oder?«
    »Nicht in meine Wohnung«, beharrte die alte Frau.
    »Also – heute war jedenfalls das Wetter zu schön, um im Haus zu bleiben«, sagte Leona. »Wir haben von Locarno aus eine Wanderung gemacht. Erst bis zur Madonna del Sasso und dann noch ein ganzes Stück den Berg weiter hinauf. Man hatte einen herrlichen Blick über den See.«
    »Mit meinem Mann bin ich früher auch oft gewandert«, sagte die Frau eifrig. »Wir haben ja in Norddeutschland gewohnt, sind aber jedes Jahr nach Ascona gekommen. Nach der Pensionierung meines Mannes haben wir dann die Wohnung gekauft. Und nach seinem Tod bin ich ganz hiergeblieben. Was soll ich im Norden? Das Klima da oben tut meinen armen Knochen gar nicht gut.« Sie seufzte tief. »Na ja, man wird eben nicht jünger.« Sie trat einen Schritt von der Tür zurück. »Möchten Sie nicht hereinkommen für einen Moment?«
    »Nein danke«, wehrte Leona rasch ab. »Robert wartet auf mich.«
    Als Dank für die Hilfe mit zahlreichen Putz- und Waschmitteln am ersten Abend hatte sie der Frau im ersten Stock einen Blumenstrauß gebracht. Robert hatte das überflüssig gefunden, aber Leona hatte darauf bestanden. Nun mochte die einsame Frau – wie viele einsame Frauen es gibt, dachte Leona und sah die arme Lydia vor sich – sie nicht mehr fortlassen.
    »Ach, kommen Sie, nur auf einen Sherry! Ich habe so selten Besuch. Mein Gott, der Blumenstrauß ist wirklich wunderschön. Ich muß ihn gleich in eine Vase tun!«
    Widerstrebend folgte ihr Leona ins Wohnzimmer. Die Wohnung, stellte sie fest, war viel größer und schöner als
die von Robert. Die Räume gingen nach Süden und Westen und führten auf zwei größere Balkone hinaus. Rötliches Abendlicht flutete durch die hohen Fenster. Die Wohnung war ein wenig steril in ihrer Sauberkeit, wirkte aber viel anheimelnder und freundlicher als das finstere Loch oben bei Robert.
    Sie hatte die Blumen versorgt und kam mit den Sherrygläsern.
    »Hier. Es ist schön, daß wir uns näher kennenlernen. Ich heiße Emilie, aber so mag ich nicht genannt werden. Sagen Sie Millie zu mir. Wir sehen uns jetzt sicher öfter, nicht? Werden Sie ganz zu Herrn Jablonski hierherziehen oder nur ab und zu kommen?«
    Weder noch, dachte Leona, und fast erschreckte sie die Gewißheit, mit der sie dies dachte. Sie hatte sich Mühe gegeben die ganze Woche lang, und Robert hatte sich, sie mußte es anerkennen, nichts zuschulden kommen lassen.
    Sie hatten friedlich auf der Piazza am See gesessen, sie waren nach Lugano gefahren und auf einem Felsenpfad am See entlang zu einem Fischerdorf gewandert, wo sie auf einer Terrasse über dem Wasser in der Sonne gesessen, Spaghetti gegessen und Rotwein getrunken hatten. Sie hatten eine lange Wanderung durch das Valle Maggia unternommen, und Leona hatte Ziegen und Schafe gefüttert und ein wenig geschaudert vor der Einsamkeit der Schweizer Bergdörfer. Warum fühlte sie sich nicht mehr wohl an seiner Seite, nicht mehr sicher? Sie hatten Rast gemacht irgendwo an einer kleinen Kapelle, das Tal lag in den Schatten der Berge getaucht, und es war viel kühler hier als am See.
    Leona, die im noch winterbraunen Gras saß, hatte plötzlich Roberts Augen so intensiv auf sich gerichtet gefühlt, daß sich von ihrem Nacken an abwärts eine Gänsehaut
über ihren Körper breitete. Sie wandte sich rasch um, voller Angst, sie würde wieder jenen Haß in seinem Blick entdecken, mit dem er sie am ersten Abend in Ascona so erschreckt hatte. Aber da war kein Haß, auch keine Mordlust. (Wobei sie das Wort Mordlust nur noch spöttisch dachte und sich selbst längst einer überhitzten Phantasie beschuldigte.) Sie fand nur Trauer und Zärtlichkeit in Roberts Zügen. Er lächelte – ein unfrohes Lächeln voller Einsamkeit und Resignation.
    »Ich liebe dich so sehr, Leona«, sagte er, »mehr als mein Leben, weißt du? Ich habe entsetzliche Angst, du könntest mich verlassen.«
    »Ich liebe dich auch«, sagte sie unglücklich und unbehaglich.
    Irgendwo stimmte das, und daneben auch nicht. Sie liebte ihn noch, weil Liebe sich nicht so schnell verabschiedet, weil sie ihre Zeit braucht, ehe sie sich aufrafft und geht und die Tür hinter sich endgültig ins Schloß fallen läßt. Aber die Liebe war zugleich auch nicht mehr heimisch in ihr. Sie war mißtrauisch geworden, müde und angeschlagen. Eine geknickte Blume, die noch eine Weile ihre Blüte behält, die Blätter aber schon hängenläßt und unaufhaltsam

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