Der Verehrer
eingefallen.
Als er Elisabeths freundliches »Hallo?« hörte, hätte er am liebsten den Hörer wieder aufgelegt, aber das wäre ihm dann doch zu kindisch vorgekommen. Also nannte er seinen Namen – und erwartete stoisch die Vorwürfe, die nun kommen mußten und die er, wie er wußte, auch verdient hatte. Er hatte sich unmöglich verhalten, indem er sich bei der Familie, die dreizehn Jahre lang auch die seine gewesen war, nicht mehr gemeldet hatte.
Aber da hatte er Elisabeth falsch eingeschätzt.
»Wolfgang! Wie nett, wieder einmal von dir zu hören!« Keinerlei Ironie schwang in ihren Worten. »Wie geht es dir?«
»Danke, gut. Das heißt …« Er zögerte, beschloß dann aber, sofort zur Sache zu kommen. »Es geht mir nicht allzu gut. Ich mache mir Sorgen um Leona.«
»Um Leona? Weshalb?«
Sie ist so ein lieber Mensch, dachte er, sie könnte mir jetzt ein paar ganz schön sarkastische Bemerkungen um die Ohren hauen. Immerhin habe ich ihrer Tochter ziemlich weh getan.
»Sie hat doch diesen eigenartigen Verehrer«, sagte er, »diesen Robert Sowieso … ich habe da kein gutes Gefühl.«
Elisabeth schien überrascht. »Nein? Er ist doch ein netter, junger Mann. Wir haben ihn an Weihnachten kennengelernt. «
»Es gibt da ein paar Unstimmigkeiten … oder besser: Ungereimtheiten, die mir zu schaffen machen. Ich weiß,
daß Leona jetzt mit ihm in Ascona ist. Ich hatte ihr sehr von der Reise abgeraten.«
Zum erstenmal erlaubte sich Elisabeth eine leise Zurechtweisung.
»Wolfgang, Leona entscheidet jetzt allein, wohin sie reist und mit wem. Das ist nicht mehr deine Sache.«
»Ich weiß. Natürlich. Ich will mich auch um Gottes willen nicht einmischen in Leonas Leben!« Aber genau das tust du ständig, sagte eine innere Stimme zu ihm. »Es ist nur … ich muß ihr etwas Wichtiges mitteilen. Ihre Kollegin im Verlag gibt mir die Nummer nicht; laut Leonas Anweisung stehe ich offenbar nicht auf der Liste derer, die gewissermaßen weiterverbunden werden dürfen. Ich habe es über die Auslandsauskunft versucht, aber der Typ hat eine Geheimnummer. Nun hoffte ich …«
Er wartete einen Moment, aber Elisabeth kam ihm nicht entgegen.
»Du hast doch sicher die Nummer?« sagte er schließlich bittend.
Elisabeth zögerte. Sie war zu freundlich, ihren Schwiegersohn einfach abzuwimmeln, aber ihre Loyalität galt natürlich in erster Linie ihrer Tochter.
»Ja, ich habe die Nummer«, gab sie ehrlich zu, »aber ich weiß nicht …«
»Es geht wirklich nur um eine Information, die sie unbedingt haben sollte«, sagte Wolfgang rasch. »Ich will sie keineswegs behelligen oder ihr den Urlaub verderben. Ich will ihr nur etwas sagen. Das Gespräch wird zwei Minuten dauern, und danach lasse ich sie in Ruhe.«
»Wenn du ihr etwas Unangenehmes über Robert sagen willst, wirst du ihr den Urlaub verderben!«
Leider nein, dachte er müde, denn wie immer wird sie mir nicht glauben und alles meiner Eifersucht zuschreiben.
Aber ich muß es versuchen. Ich muß es wenigstens versuchen!
Ohne weiter auf Elisabeths Einwand einzugehen, sagte er nur: »Bitte, Elisabeth. Ich würde dich nicht in diese Lage bringen, wenn ich es nicht wirklich für wichtig hielte.«
Durch das Telefon hindurch konnte er spüren, daß ihr Widerstand schwächer wurde und schließlich brach.
»In Ordnung, Wolfgang. Ich denke, du wirst das nicht ausnutzen. Hast du was zum Schreiben da?«
»Ja, natürlich.«
Er notierte die Nummer, die sie ihm diktierte.
Zum Abschied sagte sie traurig: »Es tut mir sehr leid, daß ihr beide euch getrennt habt. Ich wünschte, ihr würdet euch das alles noch einmal überlegen.«
Er murmelte etwas Ausweichendes, verabschiedete sich und legte den Hörer auf. Einen Moment lang blieb er stehen und dachte, daß er möglicherweise genauso empfand wie Elisabeth. Er war auch traurig über die Trennung, wobei ihn der Umstand, daß sie von ihm ausgegangen war und daß er damals geglaubt hatte, keinen anderen Weg gehen zu können, nicht tröstete. Die Frage war: Teilte er neben Elisabeths Traurigkeit auch ihren Wunsch? Den Wunsch, sich alles noch einmal überlegen zu können?
Darüber kann ich jetzt nicht nachdenken!
Er trat aus dem Wohnzimmer in den Flur hinaus. Zu seiner Überraschung stand dort Nicole vor der Garderobe und zog gerade ihren Mantel aus. Ihre Wangen waren etwas gerötet.
»Du bist schon zurück?« fragte Wolfgang. »Ich dachte, du wärst noch im Sender.«
Er trat auf sie zu und küßte sie. Sie wandte ihren Kopf zur Seite,
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