Der Verehrer
Tobsuchtsanfall zu kriegen? Was glaubst du denn eigentlich, wer du bist?«
Genervt trat er von einem Fuß auf den anderen.
»Also - ich entschuldige mich. Okay? Gehen wir jetzt? Wenn wir nämlich noch lange warten, bekommen wir nirgends mehr etwas.«
»Du kannst gehen, wohin du willst. Ich komme jedenfalls nicht mit. Mir ist der Appetit gründlich vergangen. Und eines will ich dir noch sagen: Es ist mir gleich, wo du schläfst heute nacht, aber jedenfalls nicht hier in diesem Bett bei mir!«
Das Ende vom Lied war gewesen, daß Robert nicht mehr zum Essen ging und die Nacht auf dem Sofa verbrachte. An seinem gleichmäßigen Atem hatte Leona erkannt, daß er offenbar friedlich schlief. Sie selbst hatte kein Auge zugetan. Sie hatte in die Dunkelheit gestarrt, gegrübelt und sich mit der Erkenntnis konfrontiert, daß die Beziehung zu Robert gescheitert war und daß dieses Scheitern vor langer Zeit schon begonnen hatte.
Sie hatte nicht sehen wollen, daß etwas nicht stimmte. Sie hatte es nicht sehen wollen, weil sie keine zweite Niederlage innerhalb kurzer Zeit hätte hinnehmen können. Weil sich
alles zu schön gefügt hatte, um es zusammenbrechen zu lassen: Wolfgang hatte sie verlassen, und in ihren Schmerz hinein war Robert wie ein rettender Engel vom Himmel gefallen, hatte die kläglichen Scherben ihres Selbstwertgefühles säuberlich wieder zusammengesetzt, hatte sie sich wieder vollwertig fühlen lassen und sie wieder zur guten Tochter gemacht, die tadellos funktionierte, die Erwartungen ihrer Familie höchstens vorübergehend enttäuschte und ihre Niederlagen rasch und unkompliziert behob und in Erfolge umwandelte. Mit jeder Faser ihres Ichs hatte sie sich an ihn gekrallt und jede Warnung, die er ihr selbst unwissentlich gab, in den Wind geschlagen. Sein langes, kommentarloses Untertauchen im Dezember. Die Unbefangenheit (Unverfrorenheit würde sie es heute nennen), mit der er sich bei ihr einquartiert und von da an völlig auf ihre Kosten gelebt hatte. Seine wütende Reaktion in jenem Café, in dem sie und Carolin ihn getroffen hatten. Das chaotische Loch von einer Wohnung hier in Ascona, in dem er sie allein hatte aufräumen lassen, während er – wieder einmal wütend und aufgebracht – davonstürmte. Und nun zuletzt die Szene mit dem Ring. Die Mordlust in seinen Augen …
Mordlust? Wirklich?
Jetzt rede dir das nicht auch wieder schön, wies sie sich zurecht, aber sie wußte zugleich, daß es schwierig sein würde, dieses starke Gefühl von Bedrohung, das sie gehabt hatte, vor der sachlichen Analyse durch ihr realistisches Gehirn bestehen zu lassen. Mordlust war zu dramatisch. Mordlust war übersteigert, hysterisch.
Er ist ein Choleriker, aber kein Mörder, dachte sie.
Ihr Instinkt sagte etwas anderes.
Er überredete sie an jenem Sonntagnachmittag auf der Piazza am See, doch zu bleiben und ihm eine letzte, eine
allerletzte Chance zu geben. Während die Eiskugeln endgültig zerschmolzen und der Wein warm und ekelhaft wurde im Glas, erklärte, bettelte, beschwor, flehte er.
Eine Woche! Er wolle nur diese eine Woche, diese Urlaubswoche im sonnigen Tessiner Frühling, auf die sie sich beide doch so gefreut hatten. Er würde ihr seine Heimat zu Füßen legen, ihr alles zeigen, was zu ihm, zu seiner Kindheit, zu seinem Leben gehörte.
»Ich wollte mit dir durch das Valle Maggia wandern, wie ich es früher immer getan habe. Mit dir unser altes Haus in Ronco besuchen. Du wolltest am Grab Remarques stehen, erinnerst du dich nicht, und ihm eine Rose bringen. Wir wollten nach Lugano fahren, und nach Italien hinunter am See entlang …«
Seine Augen waren voller Wärme und Licht. Sie dachte daran, wie weich sich seine Lippen am vergangenen Abend auf ihrer Haut angefühlt hatten.
Warum mußt du blöde Kuh daran denken und nicht an das, was danach war, fragte sie sich zornig.
Sie verachtete sich dafür, daß sie seinem Drängen nachgab und ihm diese eine Woche zusagte. Sie wußte längst, daß es kaputt war zwischen ihnen. Und vermutlich wußte Robert das auch.
17
»Ich bin eigentlich nicht abergläubisch«, beteuerte die alte Frau, »aber wenn es sich irgendwie vermeiden läßt, gehe ich an einem Freitag dem dreizehnten nicht auf die Straße. Man weiß ja nie, nicht wahr? Also habe ich heute keinen Schritt aus der Wohnung getan.«
»Ich glaube nicht an Freitag den dreizehnten«, sagte
Leona, »aber wenn ich es täte, dann würde ich mich auch in der Wohnung nicht sicher fühlen. Das Unheil kann
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