Der verflixte Bahnhofsbau
steht. Schon hämmert er weiter. Stein um Stein entfernt er aus Wand und Kamin und wirft sie nach draußen. Die Schiebkarre füllt sich. Da neigt sich plötzlich der Schornstein und stürzt krachend in sich zusammen. Er durchschlägt den morschen Fußboden und reißt Henner Blau, der darauf nicht vorbereitet ist, mit sich in die Hölle. Nein, in die Hölle noch nicht, aber in den Keller. Da liegt er, drei Meter tief, von einem schweren Stein am Kopf getroffen, und rührt sich nicht.
Just in diesem Augenblick tauchen Tatta Knobel und Jochen Krumm am Rande der Lichtung auf. Sie haben den Räuber immer noch nicht gefunden. Nun sind sie erschöpft und lassen sich wie reife Äpfel ins Gras fallen.
Tatta öffnet den obersten Jackenknopf.
Nach einer Weile sagt Jochen: „Ob Henner Blau nicht in dem Spukhaus sein könnte?“
„Nein“, antwortet Tatta Knobel, „der Fußboden ist viel zu morsch, da könnte er leicht einbrechen.“
„Vielleicht ist er eingebrochen und liegt unten im Keller?“ sagt Jochen.
Tatta schüttelt den Kopf.
„Unmöglich, dann müßte im Fußboden ja ein Loch sein.“
Jochen steht auf und geht auf das Haus zu. Von der Tür aus guckt er ins Zimmer.
„Hier ist auch ein Loch!“ ruft er aufgeregt.
Nun erhebt sich Tatta .Knobel und tritt neben den Orgeldreher. Auch er sieht jetzt das Loch in den Dielen. Aber das überzeugt ihn noch nicht. Er schüttelt wieder den Kopf und sagt: „Da kann Henner Blau nicht hineingefallen sein, dafür ist das Loch zu klein. Außerdem spukt es in diesem Haus, wie jeder weiß, und vor Spuk haben Räuber eine gewaltige Angst.“
In diesem Moment hören die beiden Räubersucher ein fürchterliches Stöhnen, das aus dem Keller zu ihnen heraufdringt.
Jochen ergreift Tattas Arm.
„Hören Sie das?“ flüstert er. „Das ist Henner Blau.“
Der erfahrene Polizist tritt einen Schritt zurück und antwortet leise mit zitternder Stimme: „Nein, das sind Gespenster. Die wollen nicht, daß Menschen in ihre Nähe kommen. Wir müssen sofort weg, Gespenster sind sehr gefährlich!“
Jochen Krumm glaubt zwar nicht an Gespenster, aber das geht ihm doch durch und durch. Also wenden sich die beiden um und verlassen in großer Hast das unheimliche Haus.
Bevor sie aber endgültig das Weite gewinnen, erscheinen die klugen Männer von Hasenkrug auf der Bildfläche, angeführt vom Bürgermeister in seiner viel zu engen Schützenuniform.
„Ha, endlich!“ ruft er aus. „Da ist Tatta Knobel! Haben Sie den Kerl gefunden?“
Tatta, der aus Angst vor den Gespenstern gerne gezittert hätte, es aber als Polizist nicht darf, legt beschwörend den Finger auf den Mund und schüttelt den Kopf. Sprechen kann er noch nicht wieder, der Schreck sitzt ihm zu weit unten in der Kehle. Darum antwortet Jochen Krumm für ihn: „Wir haben den ganzen Wald durchsucht, Henner Blau ist verschwunden. Aber er müßte eigentlich hier in der Nähe sein.“
Kaum ist das gesagt, da hören die Männer ein lautes Heulen. Gleich darauf springt Tatta Knobels kluger Polizeihund in langen Sätzen über die Lichtung und verschwindet im Spukhaus.
„Da!“ schreit Jokel Vossen. „Der Hund hat eine Spur gefunden. Wir müssen hinterher!“
Doch Tatta Knobel hebt rasch den Arm und sagt leise und eindringlich: „Das Spukhaus dürfen wir nicht betreten, es wimmelt darin von Gespenstern!“
Alle sehen sich betroffen an. Natürlich! Wie hat Jokel Vossen das nur vergessen können! Er war es doch, der damals die Gespenster erlebte. Bäckermeister Bodenluk kratzt sich mit dem Teigschaber am Bart und sagt nachdenklich: „Gespenster sind nur nachts unterwegs. Jetzt ist heller Tag. Wir brauchen keine Angst zu haben.“
Tatta Knobel, im Angesicht der Gefahr wieder ruhig und besonnen, sieht den armen, nichtwissenden Bäckermeister mit seinen klugen Polizistenaugen gütig an und fragt: „Und wo sind sie am Tage?“
Das kann keiner der Männer beantworten, nicht mal Schlachter Brating, obwohl der doch zwei Jahre lang das Mückentaler Gymnasium besuchte. Darum nimmt Tatta Knobel wieder das Wort.
„Ich will euch sagen, wo sie am Tage sind“, sagt er, „hier in diesem alten Försterhaus. Von hier aus fliegen sie nachts nach Hasenkrug und Mückental und spuken.“
„Nein“, wendet Jokel Vossen da energisch ein, „das kann nicht sein, denn als ich damals hier vorbeikam, war es Nacht, und es waren mindestens sieben Gespenster im Haus.“
„Einige müssen natürlich Zurückbleiben“, sagt Tatta Knobel
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