Der vergessene Mond Bd II - Zeit des Erwachens (German Edition)
schien still und friedlich. Und doch wollte Herm schreien vor Entsetzen und unterdrückte nur mit Mühe den Impuls, aufzuspringen und loszulaufen. Eine gelbfarbige handtellergroße Spinne war unbemerkt von ihm auf sein rechtes Bein gekrochen und saß nun regungslos auf seinem Oberschenkel. Ein nochmaliger Blick auf das kleine achtbeinige Tier bestätigte Herms größte Furcht. „ Ein Gelbrückenkriecher! “
Gerade, als er Frieden mit sich und der Welt hatte machen wollen, gerade als er dachte, dass Glück hätte ihn wieder gefunden, schickte ihm das Schicksal eine der tödlichsten Kreaturen des Nordens. Die Gelbrückenkriecher waren selten und aggressiv, ihr Gift war schmerzhaft und tödlich. Die langen Zähne des kleinen Todesbringers würden ohne Mühe seine ledernen Hosen durchstoßen können und einmal gebissen gab es für ihn keine Hoffnung aufs Überleben. Schweiß bildete sich an seinem ganzen Körper, der lähmende Griff der Angst hatte ihn voll erfasst. Er wollte um Hilfe rufen, doch seine trockene Kehle brachte nur ein leises Krächzen hervor, wie gebannt starrte er auf die tödlicheSpinne, die reglos auf seinem Bein saß, als ob sie ihn vor ihrem Todesstoß verhöhnen wollte.
Dann ging alles ganz schnell. Bevor Herm überhaupt reagieren konnte, schoss eine rote lange Zunge wie aus dem Nichts auf die Spinne zu und zog sie weg von seinem Bein hinein in das Maul einer kleinen Echse, die sich Herm und seinem Belagerer unbemerkt genähert hatte. Kaum zu sehen in dem hohen Gras hatte die Echse die Farben der Umgebung angenommen und sich so gut getarnt ihrem Essen genähert.
Mit einem Ruck sprang Herm auf seine Füße und tastete noch immer in Panik mit wilden Bewegungen seinen Körper ab. „ Keine Spinne mehr, kein Biss, ich werde leben .“ Mit Erleichterung und Neugier sah er auf die kleine Echse, die gerade sein Leben gerettet hatte, während sich sein Herzschlag langsam aber sicher normalisierte. Sein Retter war nur etwa vierzig Zentimeter lang und äußerst schwer zu erkennen. Das Chamäleon war ein Meister der Tarnung und schien keine Angst zu empfinden, während es still sitzend seine Beute zerkaute und Herm zu betrachten schien. Ein seltsames Kribbeln fuhr durch Herms Körper, diesmal war es keine Furcht, sondern mehr ein seltsamer Drang, etwas Unbestimmtes, das nach ihm rief. Er hatte dieses Gefühl schon früher gehabt, hatte gespürt wie fremde Energien durch seinen Körper gefahren waren. Dann hatte er sich stets bestätigt gesehen in seinem Wunsch, ein Magier zu werden, war sich sicher gewesen, das es die Energie eines der drei Monde war, die seinen Körper durchfloss. „ Das kann nicht sein! “ Er hatte die Prüfungen abgelegt und versagt, er war kein Magier, außerdem stand keiner der Monde im Zenit. Zonah war in der letzten Nacht nur zur Hälfte sichtbar, Jatul und Jesah sogar nur auf einem Viertel ihrer Scheibe. Kein Unkundiger, wie ungelernte Magier auch genannt wurden,würde zu so einer Zeit die Kraft seines Mondes spüren.
Und doch fühlte Herm, wie ihn Energien durchflossen, die er nicht kontrollieren konnte. In voller Konzentration schloss er die Augen und versucht, die Kontrolle über seinen Körper zu behalten, die Oberhand über die Energie in ihm zu gewinnen, doch ohne Erfolg. Wie in Trance sah er sich selbst, wie er sich auf die kleine Echse zubewegte und schließlich seine rechte Hand auf ihren Kopf legte. Die Berührung durchzuckte ihn wie ein Blitz und mit einem unterdrückten Schrei fiel er rückwärts ins Gras, während sich die Energie seines Körpers über das Chamäleon in die Erde abgeleitet hatte. Verdutzt saß er im Gras und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. „ Was ist geschehen? “ Das seltsame Gefühl von Macht, das seinen Körper ergriffen hatte, war verschwunden. Stattdessen spürte er etwas Neues, eine Präsenz die vorher nicht dagewesen war. Mit geschlossenen Augen versuchte er, sie zu erfassen, doch er erhielt keine Antwort. Langsam kam das kleine Chamäleon auf ihn zu, krabbelte wie selbstverständlich an seinem rechten Arm entlang nach oben und setze sich ruhig atmend auf seine Schulter.
Herm war noch immer wie erstarrt. Unfähig zu erfassen, was wirklich passiert war, stand er aus dem hohen Gras auf und betrachtete sich und seine Umgebung. Alles war ruhig um ihn herum, das leise Zwitschern einiger Vögel sowie das Rauschen des kleinen Baches waren die einzigen Geräusche, die er vernehmen konnte. Er war unverletzt, die Spinne war keine Gefahr mehr
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