Der vergessene Mond Bd II - Zeit des Erwachens (German Edition)
gigantischen Jäger. Die Eisspinne war nicht weniger als fünf Meter hoch, ihr Körper allein so groß wie ein Pferd, getragen von acht meterlangen, von weißer Wolle bedeckten Beinen, die sie mit einer unglaublichen Geschwindigkeit über die verschneite Ebene getragenhatten. „ Ich hasse Spinnen! “ Herms Gedanken konnten sich nur schwer von der Erinnerung an den riesigen Jäger lösen, der sie damals angegriffen hatte. Er hatte Spinnen schon immer gefürchtet, egal in welcher Größe er sie traf.
Große Spinnen waren gefährliche Jäger, kleine Spinnen konnten durch ihr Gift allein töten und so ging er ihnen aus dem Weg oder tötete sie, wo immer er sie traf. Doch an jenem Tag in den verschneiten Ebenen Kaldarras hatte er diese Wahl nicht gehabt. Die riesige Eisspinne war auf Beute aus und jeder Versuch eines Kampfes gegen den Titan hätte mit seinem sicheren Tod geendet. So hatte er sich verzweifelt und starr vor Furcht an seinem Pferd festgehalten, das von Todesangst getrieben immer weiter gerannt war in die verschneiten Ebenen seines Heimatlandes, bis es nicht mehr weiter konnte und zusammenbrach.
Es hatte fast einen halben Tag gedauert, bis er den Spuren seines inzwischen toten Pferdes folgend zurück an jenen Ort gefunden hatte, an dem sie angegriffen worden waren. Martek hatte bewegungslos im Schnee gelegen, er war in dem Moment vom Wagen gefallen, als die Pferde durchgegangen waren und kam nur langsam und schwer wieder zu sich, während Herm seine blutige Kopfwunde versorgt hatte. Erleichterung war ihn durchfahren, als sie auch Hassem lebend gefunden hatten, der wie Herm sein Pferd verloren hatte und mit einer leichten Beinverletzung humpelnd den Spuren zurück gefolgt war. Doch die Erleichterung war bald kaltem Terror gewichen, als sie die Überreste des Wagens gefunden hatten, in dem ihre Mutter gereist war. Die Pferde waren fort, ihr ledernes Geschirr von der Bestie zerrissen, hatten nur noch vereinzelte Knochen als Beweis ihrer Existenz am Ort des Grauens gelegen.
Der Wagen war leer und zertrümmert, ein schneller Blick ins Innere hatte Herm und Hassem gezeigt, dass auch ihre Mutter der Bestie zum Opfer gefallen war. Die Erinnerung an den schrecklichsten Moment in seiner Vergangenheit, an dem der Tod seiner Mutter Gewissheit geworden war, trieb Herm kalten Schweiß auf die Stirn. Alles war so schnell gegangen, seine Kindheit war innerhalb nur weniger Minuten beendet worden.
Die folgenden Wochen waren hart gewesen und erfüllt von Trauer. Sie waren zurück zur Burg Pendrak gereist, langsam und ohne Pferde, weiter gebremst durch Marteks Alter und Hassems Beinverletzung, die sich nur langsam besserte. Ihr Wissen um die Eiswüste nutzend hatten sie überlebt, Nahrung und Unterschlupf in den Flüssen und Höhlen auf ihrem Weg in die Heimat gefunden. Dann hatten sie das erste Fischerdorf erreicht, das sich im Einflussgebiet ihrer Familie befunden hatte, doch anstatt einer warmen Unterkunft und gutem Essen hatten sie nur verbrannte Ruinen vorgefunden. Der Raubzug Valkalls hatte Pendrak mit ungebremster Härte getroffen, die Fischerdörfer geplündert und niedergebrannt, dann die Burg belagert. Die wenigen Überlebenden, die sie in den nächsten Stunden getroffen hatten, berichteten ihnen vom Fall der Burg und dem Tod des Burgherren und seiner Söhne. Herm und sein Bruder waren wie gelähmt gewesen, als sie die zerstörten Ruinen ihrer Heimatburg auf dem kleinen Hügel im Morgenlicht des Midsommertages vorfanden. Wo ein rauschendes Fest hätte stattfinden sollen, bei dem die Männer um die Gunst der Frauen gebuhlt und sich in Wettkämpfen gemessen hätten, hatte nun Tod und Verwesung in den Ruinen ihrer Heimat gelegen.
Mit einem Ruck schüttelte Herm die Erinnerung an die dunklen Monate seiner Vergangenheit von sich und erhob sich langsam von dem feuchten Bett aus Moos, auf dem er am Fluss gesessen hatte. Die Sonne standinzwischen voll am Morgenhimmel und erster Hunger machte sich bei Herm bemerkbar. Er hatte vor der Prüfung nichts essen können, zu aufgeregt war er gewesen, als er sich am Fuße des blauen Turms eingefunden hatte. Doch das war bereits länger als einen halben Tag her und so machte sich Herm daran, Vorbereitungen für sein Essen zu treffen. Anders als die in Seide gekleideten Höflinge der Hauptstadt musste jeder, der in den kalten Grenzgebieten Kaldarras lebte, lernen, selbst für sein Essen zu sorgen. Nahrung in der Natur zu finden war eine Notwendigkeit, sie schmackhaft zuzubereiten
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