Der vergessene Mond Bd II - Zeit des Erwachens (German Edition)
„Ich kann kochen.“ Seine Feststellung, trocken und ohne aufzusehen in den Raum geworfen, ließ das Tischgespräch umgehend verstummen. Als er von seinem Teller aufsah, fühlte er sofort den durchdringenden prüfenden Blick des Hausherrn auf sich, der ihm direkt in die Augen sah. „Ihr habe mich so freundlich als Gast aufgenommen, obwohl ich in eurem Laden so unhöflich war. Lasst es mich wieder gut machen und ich werde euch morgen das Abendessen zubereiten.“ Die überraschten Blicke seiner Tischnachbarn noch auf ihn gerichtet fand sein Vorschlag breite Zustimmung bei Dorm und Martha und so willigte Borresch schließlich ein, ihn das morgige Essen zubereiten zu lassen.
„So, genug über das Essen geredet, Junge. Nun erzähl schon, wie geht es Martek, dem alten Haudegen.“ Mit einem breiten Grinsen legte Borresch die noch ungeöffnete Lederhülle vor sich auf den Tisch und sah ihn erwartungsvoll an.
Die traurige Erinnerung traf Herm mit voller Wucht. Den Blick starr auf die Lederhülle gerichtet musste er noch einmal an den Ort denken, an dem Martek ihm dieNachrichtenrolle gegeben hatte. Es war ein kalter Winter gewesen, fast zwei Jahre nach ihrer Rückkehr in die zerstörte Heimat. Alle Versuche Herms, Martek dazu zu bewegen, in die Hauptstadt oder zu seinem Bruder zu ziehen, waren vergebens gewesen, der sture alte Mann hatte darauf bestanden, in Pendrak zu bleiben. „Pendrak ist meine Heimat geworden, Junge, und hier will ich begraben werden, nirgendwo sonst!“
Martek hatte damals spüren können, das sein Ende nah war. Das Fieber hatte ihn seit über einer Woche fest im Griff und seine brutalen Hustenanfälle wurden von immer stärker werdendem Pfeifen in seiner Lunge begleitet. Herm hatte versucht, sich an Alles zu erinnern, was er über Fieber von seiner Mutter wusste. Er hatte seinem alten Lehrer Wadenwickel angelegt, die mit Fünfblatt gefüllt waren, eine Salbe aus frischer Minze für seine Brust hergestellt und dafür gesorgt, das Martek viel Tee trank. So hatte seine Mutter es ihm beigebracht, und so hatte sie ihn selbst auch umsorgt, wenn er krank gewesen war als Kind. Doch diesmal hatte es nichts geholfen, Marteks Zustand hatte sich mit jedem Tag verschlechtert, obwohl Herm täglich viele Stunden damit verbracht hatte, die Feuerstellen des alten Wehrturms warm zu halten, in den sie eingezogen waren.
Alle Versuche, das Rittergut wieder aufzubauen, waren gescheitert. Es waren keine neuen Siedler in die abgebrannten Dörfer gekommen, zu groß war die Angst vor einem neuen Raubzug aus Valkall. Reisende und Händler mieden das Grenzgebiet und niemand bestellte die Felder, die im Sommer stets so fruchtbar gewesen waren. Ohne Siedler, die Nahrung anbauten, Fische fingen und Steuern zahlten, war auch die Burg nicht wieder aufzubauen gewesen. So waren sie schließlich in den alten Wehrturm gezogen, dessen zwei große Räume einfacher zu beheizen waren, doch sie hattenbeide gewusst, dass der Umzug einer Niederlage gleichkam. Ihr großes Vorhaben, Pendrak wieder aufzubauen war gescheitert. Wo früher Familien in Dörfern gelebt hatten, unter den wachsamen Blicken des Ritters von Pendrak und seiner wehrhaften Burg, hatten nur noch Ruinen und Ödland gelegen, am Fuße einer zerstörten Festung, die von einem alten Mann und einem Jungen bewohnt worden waren.
So war es auch Herms letzter Winter in seiner Heimat gewesen, als er am Sterbebett Marteks gestanden und die lederne Nachrichtenrolle von ihm bekommen hatte. „Auch wenn Hassem fortgegangen ist, so ist es dennoch sein Titel, das weißt du, Junge. Versprich mir, dass du nicht alleine hier bleibst, das hätte auch deine Mutter nicht gewollt. Geh und mach die Prüfungen der drei Türme, so wie du es als Kind schon immer wolltest. Pendrak ist nicht mehr.“ Herm schluckte hart bei der Erinnerung an die letzten Worte, die er mit Martek hatte wechseln können, bevor er für immer eingeschlafen war.
„Junge?“ Die sorgenvolle Stimme Borreschs weckte Herm aus seinem Tagtraum. Schnell wischte er sich die einzelne Träne aus dem Gesicht, die langsam seine Wange heruntergelaufen war und schluckte hart, bemüht seine Fassung zurückzugewinnen. „Es tut mir leid, Meister Borresch. Euer Bruder starb im letzten Winter am Fieber, er gab mir diese Nachricht für euch, bevor er für immer die Augen schloss.“
Geschockt und mit ausdruckslosem Gesicht nahm Borresch die Nachricht vom Tod seines Bruders auf. Nach einer kurzen Pause griff er still die Lederhülle,
Weitere Kostenlose Bücher