Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
stumm.
Wortlos warf er einen gefalteten Brief auf das noch unbeschriebene Pergament vor mir auf dem Tisch. Meine Nachricht an Cosimo und Niketas! Sie war nie nach Florenz gelangt!
Resigniert erhob ich mich, nahm eine gespitzte Feder von Vitelleschis Schreibtisch, tauchte sie ins Tintenfass und schrieb an Niketas, er möge das hebräische Evangelium nach Rom bringen. Als ich fertig war, reichte mir Vitelleschi sein Siegelwachs, das ich in einer Kerzenflamme erhitzte und auf das Pergament tropfen ließ. Widerstrebend drückte ich meinen Siegelring ins heiße Wachs und gab ihm den Brief.
Er überflog ihn und nickte zufrieden.
»Cesare, mein Lieber«, sagte er mit einem boshaften Lächeln, »wärt Ihr nun so freundlich, Alessandra und den Jungen in den Kerker des Castel Sant’Angelo zu geleiten?«
Kapitel 26
»Sieh mal, Niketas, dort ist Rom!«, rief Tayeb, als er sein Pferd neben meines lenkte.
Im grellen Sonnenlicht dieses warmen Frühlingstages, es war der 23. April 1439, betrachtete ich die kleine Stadt, die sich Schutz suchend zwischen die Hügel Esquilin, Quirinal und Palatin duckte und an der trutzig aufragenden Engelsburg festklammerte. Dieses Dorf ist die Caput Mundi, die Hauptstadt der Welt?, dachte ich bestürzt.
Der Sitz des Papstes war nicht mehr die großartige Metropolis, von der aus Augustus und Tiberius, Nero und Marcus Aurelius als Amtsvorgänger meines Bruders das Imperium Romanum regiert hatten! Zugegeben, auch Byzanz lag in Trümmern, und ein Flügel des Kaiserpalastes war einsturzgefährdet, doch die Stadt Konstantins war ungleich beeindruckender.
Tayeb wies mit dem ausgestreckten Arm auf eine Brücke, die hundert Schritte vor uns über den Tiber führte. »Das ist der Ponte Milvio.«
Die Milvische Brücke, wo Kaiser Konstantin im Jahr 312 seinen Gegner Maxentius besiegte - hier war das Schlachtfeld, wo sich das Schicksal des Christentums entschied ...
Meine zwanzig Leibgardisten, prächtig herausgeputzt mit ihren vergoldeten Schuppenpanzern und dem kaiserlichen Adler auf den Wappenröcken, schlossen auf und bildeten einen schützenden Ring um mich. Einige schnallten ihre Schwertgurte enger, andere lockerten die Klingen in den Scheiden, um einen Angriff abwehren zu können.
Der lange Ritt von Civita Castellana, wo wir die Nacht verbracht hatten, über die Via Flaminia nach Rom hatte meinen Sekretär Leandros ermüdet. Wie ich trug auch er einen schlichten Basilianerhabit. Neben ihm ritt Fra Leonardo d'Assisi, ein sechzigjähriger Franziskaner, der seit Jahren in Lucas Scriptorium arbeitete. Die beiden hatten sich kennengelernt, als Luca päpstlicher Sekretär bei Gregor XII. und Leonardo Schreiber in der Kanzlei des Lateranpalastes gewesen war. Nach Martins Tod vor acht Jahren und Eugenius' Wahl zum Pontifex hatte Luca seinen Freund zu sich nach Florenz geholt. Ich hatte Fra Leonardo ins Vertrauen gezogen, weil er Rom und den Lateranpalast kannte und Alessandra treu ergeben war.
Wir wandten uns nach Westen und ritten an der Tiberschleife entlang durch die blühenden Wiesen zum Vatikan, dessen gewaltige Festungsmauern bald vor uns aufragten. Die Glocke von San Pietro schlug halb vier, als wir das Stadttor passierten und den Borgo Sant’Angelo betraten, das Viertel zwischen den vatikanischen Palästen und der Engelsburg.
Fliegende Händler hasteten neben uns her, drängten sich gegenseitig ab, zerrten an unserer Kleidung und streckten uns Heiligenreliquien und Ablassbriefe entgegen. Es kümmerte sie nicht, dass Leonardo, Leandros und ich Mönchshabites trugen. Und gleich darauf kannte ich auch den Grund.
Denn nur wenige Schritte neben einem franziskanischen Bußprediger, der vor einer kleinen Gruppe frommer Pilger die verkommene Moral der Kirche verfluchte, feilschten zwei Dominikanermönche mit einer Hure um den Preis für ein kurzes Liebesspiel zu dritt. Der eine betätschelte mit beiden Händen lüstern ihre Brüste, die aus dem offenen Mieder quollen, während sie dem anderen schamlos zwischen die Schenkel fasste und mit festem Griff die Verhandlungen vorantrieb.
Noch vor der Piazza San Pietro bogen wir nach links ab und folgten dem Passetto, dem Fluchtweg der Päpste, zur Engelsburg. Als wir vor der Zugbrücke hielten, blickte ich hinauf zum Mausoleum von sieben römischen Caesaren, darunter der von mir verehrte Marcus Aurelius. Die Päpste hatten das Grabmal zur starken Festung ausgebaut.
Ich reichte Tayeb die Hand, und er drückte sie. »Sprich mit Antonio Rido. Sag ihm,
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