Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
abzuwägen. »Am liebsten würde ich ...« Er verstummte und sah mich beschämt an. »Bitte verzeiht mir!«
»Schon gut«, winkte ich ab. »Wenn es Euer Wunsch ist, werde ich Euch nach dem Konzil aus meinen Diensten entlassen.«
Ich lenkte mein Pferd um den versunkenen Titus-Bogen herum und den von Brennnesseln umsäumten Sandweg der Via Sacra hinauf zum Kolosseum, dessen Gänge und Arkaden nun als Wohnungen genutzt wurden. Der beißende Rauch von Küchenfeuern quoll aus etlichen Bogengängen. In einem Tümpel vor dem Triumphbogen des Kaisers Konstantin, der zu der Stadtfestung einer der großen römischen Familien neben dem Kolosseum gehörte, wuschen Frauen Wäsche. Zum Bleichen legten sie die Hemden und Hosen auf die marmornen Bodenplatten vor dem Siegesbogen Konstantins des Großen. Leandros, der wie ich aus Byzanz stammte, senkte betroffen den Blick.
Am Abhang des Esquilin bogen wir nun wieder in die Via Papalis ein, die durch Weingärten und Obstplantagen zur Basilika San Giovanni in Laterano führte, der Bischofskirche der Päpste. Es schlug vier Uhr nachmittags, als ich zu Füßen des bronzenen Reiterstandbildes von Marcus Aurelius vor dem verlassenen Lateranpalast vom Pferd sprang.
Hatte Tayeb schon mit Antonio Rido gesprochen? Hatte er Alessandra meine Nachricht übermittelt?
Leandros nahm mir die Zügel ab und reichte sie an einen der Bewaffneten weiter.
»Besetzt die Kirche und den Palast, und bewacht die Tore!«, befahl ich meinen Männern.
Mein Sekretär folgte mir die Stufen hinauf in die Vorhalle und öffnete mir das Kirchenportal.
Die Kathedrale, an der Kaiser Konstantin der Legende nach mit eigenen Händen mitgebaut hatte, war eine fünfschiffige Basilika mit marmornen Säulen, goldschimmernden Mosaiken, einem Boden mit ineinander verschlungenen Ornamenten aus weißem und rotem Marmor und einem offenen Dachstuhl. In der halbrunden Apsis hinter dem hohen Altar erhob sich die Kathedra des Papstes, vor dem Altar befand sich die Confessio mit dem Grab von Papst Martin.
Im rechten Seitenschiff war der Zugang zum Lateranpalast. Leandros zog den Schlüssel hervor, den Scarampo mir gegeben hatte, und öffnete das Portal. Während zwei meiner Leibwächter die Gläubigen aus der Basilika vertrieben, betrat ich mit den anderen den Palast, der seit Eugenius' Flucht vor fünf Jahren verlassen war.
Seit dem jahrzehntelangen Exil der Päpste in Avignon und der gewaltsamen Plünderung nach Eugenius' überstürzter Flucht nach Florenz war der Lateranpalast in einem beklagenswerten Zustand. Die herrlichen Fresken in den Wohnräumen und Audienzsälen waren beschädigt, die Kapellen ihres Goldschmucks beraubt und die Bibliothekssäle und die Kanzlei verwüstet.
Leandros folgte mir die Treppe hinauf in den ersten Stock zum Thronsaal des Papstes.
Während ich zu einem der Fenster trat, um auf die Piazza hinabzublicken, schleppten meine Bewaffneten einige Möbelstücke herein, die der Plünderung entgangen waren - einen Tisch, zwei Faltstühle und einige zerschlissene Brokatkissen für den Thron aus weißem Marmor.
Der Hauptmann meiner Leibwache kam zu mir herüber.
»Kyrie Niketas?«, sprach er mich an. »Alles ist bereit. Meine Männer haben die Basilika und den Palast besetzt. Der Thronsaal ist für die Audienz vorbereitet - mehr als den Tisch und die Stühle haben wir leider nicht gefunden. Eben habe ich einen meiner Männer ins benachbarte Benediktinerkloster geschickt, um Bettzeug, Lebensmittel und Wasser zu besorgen. Und einen Koch.«
Ich dankte ihm. »Begebt Euch nun zum Vatikan!«
»Wie Ihr befehlt, Kyrie!«
»Richtet Kardinal Vitelleschi aus, dass Niketas ihn im Lateranpalast erwartet. Und keine Titel, wie besprochen!«
Er grinste vergnügt - die Sache schien ihm einen unbändigen Spaß zu machen. »Wie Ihr es wünscht, so wird es geschehen, Kyrie.« Er verneigte sich, winkte zwei Bewaffneten, ihm zu folgen, und verschwand.
»In Kürze wird Fra Leonardo mit dem Prior hier eintreffen«, erinnerte mich Leandros. »Ihr wolltet Euch zuvor noch umziehen.«
»Wo ist mein Gepäck?«
»Im päpstlichen Schlafzimmer im zweiten Stock. Ich lasse Euch heißes Wasser hinauftragen, sobald die Mönche es herüberbringen.«
Ich verließ den Saal und stieg die Marmortreppe hinauf ins nächste Stockwerk, wo sich die Wohnräume der Päpste befanden. In aller Eile hatten meine Männer die Spuren der Verwüstung beseitigt - so gut es eben ging. Mein Gepäck stand neben einem breiten Bett, dessen Matratze an
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