Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
Tito oder Tayeb, konnte sie jedoch nirgends entdecken.
Wenige Minuten später wurde das Portal geöffnet und mit lautem Kettengerassel die Zugbrücke herabgelassen. Antonio Rido sprach kurz mit dem Capitano, dann kam er zu mir herüber.
Wie sein Jugendfreund Ludovico Scarampo stammte Antonio Rido aus Padua. Der Erzbischof von Florenz hatte mir vor kurzem erzählt, dass Antonio sich mit Vitelleschi zerstritten hatte, weil der ihm wegen dessen enger Freundschaft zu Scarampo die Befehlshaberstelle der Engelsburg nehmen wollte, um sie einem seiner eigenen Offiziere zu übertragen. Während Antonios Aufenthalt in Rom vor wenigen Wochen hatte Scarampo seinem Vertrauten von unserem Komplott zum Sturz von Vitelleschi erzählt. Er war ein Verbündeter.
»Alessandra! Du lieber Himmel, Ihr seid blass! Geht es Euch gut?«, fragte er besorgt. »Ihr sollt in den Vatikan gebracht werden. Der Anführer von Vitelleschis Schlägertruppe sagte mir, in der Via Papalis hättet Ihr einen Eurer Gefolgsleute gerufen. Er befürchtet, dass noch mehr Eurer Freunde in der Stadt sind, um Euch zu befreien. Deshalb werdet Ihr nun nicht, wie geplant, durch die Gassen des Borgo Sant’Angelo, sondern durch den Passetto in den Palazzo Apostolico gebracht. ›Seine Unheiligkeit‹ erwartet Euch.«
Er ergriff die Zügel meines Pferdes und führte es in den Hof der Engelsburg, dann links am Mausoleum des Kaisers Hadrian entlang bis zum nordwestlichen Befestigungsturm, der Bastion San Marco. Dort half er mir beim Absitzen, zog seinen Dolch und durchtrennte meine Fesseln. Den energischen Protest von Vitelleschis Capitano beachtete er nicht.
»Grazie, Antonio«, raunte ich ihm zu. »Würdet Ihr unserem gemeinsamen Freund meine herzlichen Grüße ausrichten?«
»Darüber wird er sich gewiss freuen, denn er vermisst Euch sehr - das hat er mir geschrieben. Ich werde einen Boten nach Florenz schicken«, versprach er. »Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um Euer Leben zu schützen. Gott steh Euch bei!«
Er geleitete mich in den Befestigungsturm und die Stufen hinauf zum Eingang des Passettos. Bevor die Bravi mich in den schmalen Gang schoben, fragte Antonio: »Ihr kennt den Weg, nicht wahr?«
Er wies in den finsteren Gang, den ich schon als Kind erforscht hatte, während Papst Martin meinen Vater in seinem Arbeitszimmer empfing. Verschlossene Türen und verstaubte Geheimgänge hatten mich schon immer fasziniert - die vatikanischen Paläste waren mir von Kindheit an vertraut.
Ich zwang mich zu einem Lächeln und nickte in Richtung meiner Bewacher. »Ich werde mich schon nicht verlaufen.«
Nach einer halben Meile erreichten wir die schwere Bronzetür am Ende des Passettos und betraten die Paläste der Cittä Leonina.
Im Laufe von Jahrhunderten hatten die Päpste den Vatikan zu einer uneinnehmbaren Festung der ›Ecclesia imperialis‹ ausgebaut. Hohe, zinnenbewehrte Verteidigungsmauern schützten die trutzigen Palazzi der Päpste neben der Kathedrale Petri, die Quartiere der Bediensteten und der Leibgardisten, die Waffenkammern, Lagerräume und Zisternen. Doch während des Exils der Päpste in Avignon und des Schismas mit zwei oder drei Gegenpäpsten, die in Pisa, Florenz oder Valencia residierten, waren die prächtigen Paläste verfallen. Papst Martin war nach diesen Jahrzehnten der geistigen Verirrung der Kirche der erste Pontifex, der im Vatikan residierte, nachdem ihm der Palazzo Colonna zu klein geworden war.
Die Bravi führten mich in den Vorraum von Vitelleschis Arbeitszimmer, das früher Martins Audienzsaal gewesen war. Der Sekretär des Patriarchen, Caedmons Nachfolger, erhob sich bei meinem Eintreten hinter seinem Schreibtisch. »Er erwartet Euch!«
Der Dominikaner öffnete die Tür und kündigte mich an: »Euer Eminenz, Alessandra Colonna ist hier.« Dann winkte er mich in den Saal und schloss hinter mir die Tür.
Vitelleschi trug eine Kardinalssoutane aus schimmerndem Atlas und ein goldenes, rubingeschmücktes Brustkreuz. Die silberne Prunkrüstung, mit der er sich in den Straßen Roms zu zeigen pflegte, hatte er abgelegt. Er reichte mir die Hand zum Kuss, ohne mich zu einem Kniefall zu zwingen.
Seine scharf geschnittenen Gesichtszüge waren ernst und ein wenig verkniffen. Trotz seines Sieges über die Colonna und trotz der Eroberung unserer letzten Festung wirkte er angespannt. »Ihr wisst, warum Ihr hier seid?«
»Ihr wollt etwas haben, das ich besitze.« Obwohl ich vor Hass und Zorn am ganzen Körper zitterte, zwang ich mich
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