Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
fürchtete ihn, weil er das Vertrauen des Papstes und des Kaisers genoss. Mit all seinen Titeln und Ämtern würde Niketas mächtiger als er selbst sein. Der zweite Mann in der Hierarchie der vereinigten Kirche und ein ernst zu nehmender Rivale im nächsten Konklave.
»Ich gebe Euch mein Ehrenwort!«, wiederholte er, als ich weiterhin beharrlich schwieg. »Euer Leben, Eure Freiheit und meinen persönlichen Schutz für Euch und jeden Eurer Gefolgsleute - wenn Ihr mir als Gegenleistung das hebräische Evangelium gebt.«
Er schob ein Pergament und das silberne Tintenfass über den Schreibtisch.
Ich zögerte. Was, wenn Vitelleschi sein Wort nicht hielt, sobald er das Evangelium in Händen hielt?
Cesare setzte sich neben mich. »Alessandra, ich flehe dich an! Rette dein Leben! Gib ihm das Evangelium!«
Ich barg mein Gesicht in den Händen. Durfte ich Niketas in Gefahr bringen? Was würde Vitelleschi ihm antun, wenn er den Vatikan betrat?
Vor mir auf dem Schreibtisch breitete Cesare das Pergament aus. »Ich bitte dich: Schreib diesen Brief!«
Als ich nicht antwortete, legte er mir die Hand auf den Arm.
Ich blickte auf. Wie traurig er mich ansah, wie verzweifelt!
»Ihr könntet in Frieden leben, Alessandra! Du, Niketas und euer Kind. In Rom interessiert es niemanden, ob ein Kardinal eine Geliebte und Kinder hat.« Als ich nicht antwortete, drang er weiter in mich: »Willst du denn nicht endlich in Frieden leben?«
Cesare tauchte die Schreibfeder ins Tintenfass und hielt sie mir hin, doch ich nahm sie nicht. Da drückte er mir die Feder in die Hand und schloss meine Finger um den Kiel. »Alessandra, ich bitte dich ...«
Vitelleschi lehnte sich auf seinem Sessel zurück und beobachtete uns aufmerksam.
Meine Finger verkrampften sich um den Federkiel.
Ein Tropfen Tinte fiel auf meinen Habit. Ich beobachtete, wie er sich auf dem weißen Wollstoff ausbreitete ... wie mein Blut, das vor fünf Wochen mein Nachthemd getränkt hatte.
So viel Blut! Und so viele Tote!
Der Kardinal verlor die Geduld und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch, sodass das Tintenfass schwankte. Dann griff er zur silbernen Glocke auf seinem Schreibtisch und läutete.
Sein Sekretär öffnete die Tür. »Euer Eminenz?«
»Bringt den Jungen!«
Mir stockte der Atem. »Nein!«
Einer seiner Bravi trug den verzweifelt um sich schlagenden Angelo in den Raum und ließ ihn neben meinem Sessel zu Boden fallen. Der Junge schrie vor Schmerz und wand sich auf den Marmorfliesen.
Zornig ballte ich meine Fäuste und zerknickte die Schreibfeder. »Haben sie dir wehgetan?«
Er biss die Zähne zusammen und nickte mit Tränen in den Augen.
»Lasst den Jungen in Ruhe!«, begehrte Cesare auf. »Er hat ...«
»Wenn Ihr eines Tages herrschen wollt, müsst Ihr gehorchen lernen! Ich dachte, das hätte Euch Marcantonio Colonna gelehrt«, brüllte ihn Vitelleschi an. »Ein Herzog mit eigenem Herrschaftsgebiet werdet Ihr nur mit mir, aber nicht gegen mich! Habt Ihr das endlich verstanden?«
Das also war der Preis, um den Cesare seine Seele in diesem Satanspakt verkauft hatte: Sobald Vitelleschi Papst war, wollte er Cesare zum Herzog machen!
»Ja, Euer Eminenz! Aber der Junge ...«
»Schweigt!« Vitelleschi hieb unbeherrscht mit der Faust auf den Tisch.
»Nein, ich werde nicht schweigen!«, erregte sich Cesare. »Jetzt nicht mehr! Wenn Ihr dem Jungen etwas antut, verlasse ich noch heute Rom. Mit meinem Heer! Wer schützt dann Euer Leben gegen die zornigen Römer, die Euch hassen und verachten und als Antichrist und Kardinal des Satans verfluchen? Die Savelli, deren Burgen Ihr erobert habt? Die Gaetani, die Ihr gedemütigt habt? Oder die Colonna?«
Angelo kroch Schutz suchend näher, umarmte schluchzend meine Beine und presste sein Gesicht gegen mein Knie. Tröstend strich ich ihm über das staubige, verfilzte Haar.
»Ihr wagt es!«, verbiss sich Vitelleschi in seine Wut. »Cesare, ich warne Euch: Legt Euch nicht schon wieder mit mir an! Meine Geduld mit Euch und Euren Launen ist erschöpft!«
»Lasst den Jungen aus dem Spiel!«
»Ihr habt ihn doch selbst ins Spiel gebracht! Ihr habt Alessandras Nachricht an Kardinal Colonna an der Statue gefunden. Ihr habt den Jungen überwachen lassen. Ihr habt den Befehl gegeben, ihn heute Morgen festzunehmen«, brüllte der Kardinal. Als Cesare zähneknirschend schwieg, nahm Vitelleschi einen Zettel vom Tisch und zeigte ihn mir. »Diese Botschaft war doch für Euren Cousin bestimmt, nicht wahr?«
Ich nickte
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