Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
zur Ruhe. »In den letzten Wochen habt Ihr das Evangelium in Florenz suchen lassen, jedoch ohne Erfolg. Nun habt Ihr mich zu Euch gebeten, um mit mir zu verhandeln. Ihr wollt mir einen Vorschlag machen, den ich nicht ablehnen kann: mein Leben gegen das Evangelium - eine Handvoll zerfaserter Papyrusfetzen, die mir nichts einbringen werden als den Ruhm, sie entdeckt zu haben.«
Zuerst war er verblüfft, doch dann begann er herzlich zu lachen. »Habt Ihr das gehört, Cesare?«, rief er vergnügt. »Ihr Stolz ist noch nicht gebrochen!«
Ich fuhr herum.
In silbern funkelndem Harnisch lehnte Cesare Orsini mit verschränkten Armen an einem der Fenster, die auf die Basilika von San Pietro hinabblickten. Traurig musterte er mein Büßergewand und mein kurz geschnittenes Haar.
»Ich habe nichts anderes von Euch erwartet, Alessandra. Wir kennen uns nun schon so viele Jahre - seit Papst Martin mich zum Apostolischen Protonotar gemacht hat.«
»Ihm verdankt Ihr Eure humanistische Bildung und Eure Karriere als Bischof. Ohne ihn wärt Ihr heute nicht Kardinal und Patriarch! Und wie vergeltet Ihr all das, was mein Cousin für Euch getan hat?«, fragte ich verbittert. »Das Blut der Colonna tropft von Euren Händen.«
Ungerührt wies Vitelleschi auf einen der Sessel vor seinem Schreibtisch. »Setzt Euch!«
Ich spürte Cesares Blicke in meinem Rücken, als ich mich niederließ.
Vitelleschi nahm hinter seinem Schreibtisch Platz, faltete die Hände und musterte mich mit zusammengekniffenen Augen.
»Ihr habt richtig vermutet: Euer Leben gegen das hebräische Evangelium!«, eröffnete er die Verhandlungen um seinen Aufstieg zum Thron Petri.
Trotz meines Hasses konnte ich mir ein leises Lächeln nicht verkneifen: Cesare hatte ihm erzählt, dass ich ein hebräisches Evangelium gefunden hatte!
»Nein, Euer Eminenz. Mein Leben, meine Unversehrtheit und meine Freiheit sowie Euren persönlichen Schutz für mich und jeden, den ich Euch benennen werde.«
Er nickte bedächtig. »Ich gebe Euch mein Ehrenwort!«
»Was, glaubt Ihr, ist mir Euer Ehrenwort noch wert, seit Ihr Caedmon of Canterbury befohlen habt, meinen Vater zu ermorden?«, fuhr ich ihn an. »Mein Bruder Serafino und drei meiner Freunde sind tot! Und ich selbst muss seit Alexandria um mein Leben fürchten.«
»Ich habe nie befohlen, Euch zu ermorden!«, beteuerte er. »Cesare hat mir erzählt, dass Ihr glaubt, ich würde Euch nach dem Leben trachten. Aber das ist nicht wahr!« Er nahm den blutgetränkten Brief vom Tisch, entfaltete ihn und reichte ihn mir über den Schreibtisch hinweg. »Dieses Beglaubigungsschreiben mit meiner Unterschrift habt Ihr Napoleone Orsini abgenommen, nachdem Ihr ihn getötet habt. Es war kein Befehl, Euch zu ermorden.«
Ich schwieg und starrte auf das blutige Pergament, das Caedmon nach dem Mord an Luca auf dessen Schreibtisch gefunden und mitgenommen hatte.
»Nein, Alessandra, ganz im Gegenteil: Ich habe Euch das Leben gerettet. Cesare wollte Euch aus Florenz entführen, um seinen toten Bruder zu rächen. Ich habe ihm befohlen, Euch unversehrt nach Rom zu bringen, und ihm den Kirchenbann und die Entlassung als Condottiere der Kirche angedroht, falls er sich an Euch vergreift.«
Ich blickte mich nach Cesare um, der noch immer am Fenster lehnte. Er nickte stumm.
»Den Kuss in Siena kann ich ihm verzeihen, da er ja offenbar erwidert wurde«, bemerkte Vitelleschi mit einem satanischen Lächeln. »Was wird wohl Euer Geliebter dazu sagen, Seine Eminenz, Kardinal Niketas Evangelos, Metropolit von Athen und designierter Erzbischof von Florenz? Der erste Kardinal einer vereinigten griechisch-römischen Kirche! Waren das nicht die Worte Seiner Heiligkeit, als er Niketas den Purpur überreichte?«
Ich hielt seinem Blick stand und schwieg. Woher wusste er, was in Niketas' Arbeitszimmer im Palazzo d'Ascoli geschehen war? Außer dem Sekretär des Papstes war niemand in der Nähe gewesen! Hatte er an der Tür gelauscht? War Fra Domenico ein Spitzel?
Wusste Vitelleschi von meinem vertraulichen Umgang mit dem Papst und dem geheimen Bündnis mit Scarampo, um ihn zu stürzen?
»Werden Seine Eminenz und Ihr, Alessandra, in Rom oder in Konstantinopolis residieren?«, fragte Vitelleschi. »Ich nehme doch an, dass Seine Majestät der Kaiser darauf bestehen wird, dass Niketas zum Patriarchen ernannt wird, bevor er seine Unterschrift unter das Unionsdekret setzt.«
Ich lächelte nur.
Offenbar wusste er nicht, wie Niketas sich entschieden hatte!
Und er
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