Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
nach Tayebs Silberamulett mit dem Evangelium in meiner Tasche. Es war noch da!
Wenig später hatten wir die Porta Flaminia erreicht, schoben uns durch die Reihen der uns entgegenkommenden Reiter, überquerten die Piazza, auf der sich die schaulustigen Römer drängten, und bogen nach rechts ab zum Lungotevere. Uber die blühenden Wiesen am unbefestigten Ufer galoppierten wir in Richtung Castel Sant'Angelo.
Da war die Engelsbrücke! Noch immer zogen Vitelleschis Truppen über den Tiber, um auf der Via Papalis zur Porta Flaminia und zur Milvischen Brücke zu gelangen.
Wo war Vitelleschi?
Im dichten Gewühl vor dem Kastell konnte ich ihn nirgendwo entdecken.
Und Cesare?
Dann sah ich ihn. Nur wenige Schritte von der herabgelassenen Zugbrücke der Engelsburg entfernt, wo ... Allmächtiger Gott! Was geschah denn dort?
... wo ein Bewaffneter in Helm und Harnisch einen Reiter durch das Portal in die Festung drängen wollte!
»Ludovico!«, keuchte ich und lenkte mein Pferd neben seines. »Der Mann auf der Zugbrücke. Ist das Euer Freund?«
»Das ist Antonio«, knirschte er zornig. Vitelleschi hatte sein Schwert gezogen und bedrohte nun Antonio Rido, der die Zügel seines Pferdes nicht losgelassen hatte. »Wir müssen uns beeilen. Er ist in Lebensgefahr!«
Im Galopp stürmten wir den Lungotevere entlang zur Engelsbrücke.
Dort war kein Durchkommen!
Unter lautem Trommelwirbel trabte ein Trupp schwer bewaffneter Söldner mit dem Hoheitszeichen der Orsini auf den Jacken über die Brücke. Ihnen folgten mehrere große, von Ochsengespannen gezogene Geschütze, die über das unebene Kopfsteinpflaster rumpelten. Das Heer, das Cesare als Condottiere führte, konnte es mit Niccolò Piccininos und Francesco Sforzas Söldnertruppen aufnehmen.
Ludovico zog sein Schwert und kämpfte sich den Weg über die Brücke frei. Cesares Reiter wichen ihm aus und duckten sich tief in die Sättel, um der scharfen Klinge zu entgehen. Die Hufeisen seines Hengstes sprühten Funken auf dem glatt geschliffenen Steinpflaster, als Ludovico über die Brücke galoppierte, um seinem Freund das Leben zu retten.
Cesare hatte uns gesehen!
Er lenkte sein Pferd zur Engelsbrücke gegenüber dem Tor des Kastells, wo Vitelleschi noch immer mit Antonio stritt. Bevor ich Cesare erreichte, sah ich sie. Mein Herz setzte einen Schlag aus.
Mit gezücktem Dolch stand Alessandra im Portal der Engelsburg. Vitelleschi ließ von Antonio ab und wirbelte herum. Atemlos beobachtete ich, wie er sein Schwert hob und sie einen Schritt vor ihm zurückwich.
Mit lautem Kettengerassel wurde die Zugbrücke hochgezogen. Wie gebannt starrte ich hinüber.
Bewaffnete stürmten aus der Engelsburg, umringten Vitelleschi und versuchten ihn vom Pferd zu ziehen. Er schlug wie ein Besessener um sich und verwundete mehrere Männer mit seinem Schwert.
Die Leibwächter des Kardinals waren zu weit entfernt, um ihm beizustehen. Einer glitt vom Pferd und versuchte zur Zugbrücke hinüberzuspringen, doch vergeblich.
Die Zugbrücke stieg unaufhaltsam höher.
Vitelleschis Pferd scheute und hätte seinen Reiter beinahe abgeworfen. Der Hengst rutschte über das Holz der sich nun gefährlich neigenden Zugbrücke, suchte einen Halt, glitt aus, stolperte und sprang schließlich voller Panik mit einem gewaltigen Satz in den Innenhof der Engelsburg.
Mit gezückten Waffen folgten ihm Alessandra und die Bravi in die Festung. Das eiserne Gitter fiel herab.
Vitelleschi, von Feinden umringt, wurde vom Pferd gerissen und verlor dabei sein Schwert. Bevor Antonio ihn festnehmen konnte, sprang er auf, drängte sich ungestüm zu Alessandra hinüber und packte sie.
Sein Dolch lag an ihrer Kehle!
Das war das Letzte, was ich sah, bevor die Zugbrücke mir den Blick in den Hof verwehrte.
Mit lautem Donnern wurde das Bronzetor der Engelsburg von innen geschlossen.
Meine Hand verkrampfte sich um die Zügel.
Was war mit Alessandra? Lebte sie noch?
Dann war ich bei Cesare, der mich bleich anstarrte. Er hatte gedacht, ich sei tot. Niedergeschmettert senkte er den Blick, die Lippen geöffnet, als wolle er etwas sagen. Doch er schwieg.
»Wie kann ich in die Engelsburg gelangen?«, fragte ich.
»Das könnt Ihr nicht. Die Tore sind geschlossen.« Cesares hoffnungsloser Blick irrte zu den Mauern des Castel Sant’Angelo.
»Es gibt einen Weg!«, wandte Ludovico ein. »Der Passetto.«
»Kardinal Scarampo hat Recht«, nickte Cesare, richtete sich im Sattel auf und straffte die Schultern. Meinen Blick mied er.
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