Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
Brüstung und blickten zum Lungotevere hinab. Mir stockte der Atem.
»Heilige Jungfrau!«, entfuhr es meinem Cousin.
Der endlose Tross des Heeres war zum Stehen gekommen.
Auf der Straße rotteten sich Vitelleschis Truppen zusammen, um die Engelsburg zu stürmen. Ein schwerer Rammbock wurde vor das Tor geschoben. Am Ufer des Tiber wurden Geschütze in Stellung gebracht und ausgerichtet. Befehle wurden gebrüllt, Fackeln entzündet, Pulverfässer herangerollt, Steinkugeln herbeigeschleppt und die Kanonen geladen.
Der schwefelige Geruch von Schießpulver wehte uns ins Gesicht.
»Dort unten ist Everso dAnguillara.« Prospero wies auf Vitelleschis Condottiere. »Wieso ist er nach Rom zurückgekehrt?«
»Und wo ist Cesare?« Er war der Einzige, der mit seinen Gefolgsleuten den Sturm auf die Engelsburg verhindern konnte. Doch weder ihn noch seine Leibgarde konnte ich im Gewühl der kampfbereiten Söldner sehen.
Wie viel Zeit war verstrichen, seit die Tore der Engelsburg geschlossen worden waren? Sieben Minuten, oder acht?
Everso d'Anguillara kam zum Tor und verlangte die Herausgabe von Kardinal Vitelleschi - andernfalls würde er den Befehl geben, die Engelsburg zu stürmen. Neben mir auf der Wehrmauer entfaltete Antonio Rido ein Pergament und zeigte Everso zwischen den Zinnen hindurch das päpstliche Siegel.
»Dies ist der Befehl Seiner Heiligkeit, Vitelleschi festzunehmen und nach Florenz zu bringen, wo er wegen Hochverrats gegen den Papst exkommuniziert und hingerichtet werden soll. Everso, ich rate Euch, ihm nicht länger die Treue zu halten. Ein Angriff auf die Engelsburg ist Hochverrat! Wenn Ihr befehlt, die Geschütze abzufeuern, droht Euch und jedem, der Eurem Befehl folgt, die Todesstrafe! Ich werde ...«
Ein entsetzter Schrei!
Ich fuhr herum und starrte in den Hof hinunter.
Vitelleschi hatte den Arzt, der seine Wunden versorgt hatte, niedergestochen. Er flüchtete in Richtung des Festungsturms im Nordwesten der Engelsburg.
Wohin wollte er?
Zum Passetto!
Durch den Fluchtkorridor konnte er in den Vatikan entkommen!
Niemand war nah genug, um ihn aufzuhalten, als er über den Hof stürmte. Die Männer auf den Wehrmauern hatten ihre Aufmerksamkeit auf das dramatische Geschehen vor der Engelsburg gerichtet.
Vitelleschi stolperte und stürzte auf den unebenen Pflastersteinen, sprang jedoch sofort wieder auf, taumelte die Stufen hinauf und verschwand im Wehrturm mit dem Zugang zum Passetto.
Wenn es ihm gelang, das Tor hinter sich zu verriegeln, dann ...
Ein lauter Kanonendonner!
Ich wirbelte herum.
Die Männer neben mir duckten sich und rannten schreiend um ihr Leben.
Keine zwei Schritte von mir entfernt durchschlug eine Kugel mit lautem Krach die Wehrmauer und riss eine Zinne mit sich, deren Trümmer in den Hof hinabpolterten.
Steinquader zerbarsten. Gesteinssplitter flogen in alle Richtungen. Eine Wolke von Staub und Pulverdampf hüllte mich ein.
Ich riss die Arme schützend vor das Gesicht. Hustend stürzte ich unter dem Geprassel von scharfkantigem Splitt zu Boden.
Kapitel 30
»Niketas, seht Ihr das Licht vor uns?«, keuchte Ludovico. »Jemand kommt uns mit einer Fackel entgegen!«
»Wie weit ist es noch?«, fragte ich.
»Eine viertel Meile, vielleicht weniger.«
Der Mann mit der Fackel kam schnell näher - er rannte. War er auf der Flucht?
Ein ohrenbetäubender Kanonendonner erschütterte das Gemäuer des Passettos! Wurde die Engelsburg angegriffen?
Ich hastete zur nächsten Schießscharte und blickte hinaus, konnte jedoch außer den Ziegeldächern des Borgo Sant'Angelo nichts erkennen.
Cesare legte mir die Hand auf die Schulter. »Das sind meine Kanonen«, presste er mit tonloser Stimme hervor. Er atmete schwer. »Sie sind stark genug ...«
Ein zweiter Donner, gewaltiger als der erste!
»... die Stadtmauer von Florenz zu zertrümmern«, vollendete Cesare seinen Satz.
»Mein Gott, was ist mit Alessandra?«
Ich musste zu ihr! Schon wollte ich an Ludovico vorbeistürmen, als er mich am Arm festhielt und zurückzerrte.
»Es ist Vitelleschi! Er versucht, in den Vatikan zu entkommen!«, flüsterte er. »Was, zum Teufel, ist in der Engelsburg geschehen?«
Vitelleschi, der von mehreren Männern verfolgt wurde, lief uns geradewegs in die Arme. Es gab kein Entkommen!
Er riss den Dolch hoch, um sich auf Ludovico zu stürzen, doch der zog sein Schwert und nahm ihn fest. Cesare entwaffnete den Kardinal des Satans, der durch mehrere Wunden geschwächt war und sich kaum noch auf den Beinen
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