Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
Lucas Tisch gelegen hatte. Vielleicht hat der Mönch ihn mitgenommen?«
»Mein Gott!«, stöhnte ich entsetzt. »Dann ist auch das Leben meines Cousins in Gefahr! Wenn er nun angesichts der Gerüchte, das Konzil von Basel wolle Eugenius exkommunizieren und einen neuen Papst wählen, nach Italien zurückgekehrt ist? Wenn er auf dem Weg nach Florenz ist, um sich mit Luca zu treffen? Mein Vater hat gestern Nacht, nachdem er den Brief gelesen hatte, beschlossen, sofort nach Basel zu reiten! Wenn Prosperos Brief in die falschen Hände fällt, dann gnade ihm Gott!«
Ich überlegte kurz:
»Im Übrigen gilt das auch für Giuliano Cesarini. Denn auch sein Brief ist verschwunden! Vorgestern fragte er mich: ›Zweifelt Ihr an meiner Loyalität gegenüber Eurer Familie, meiner Freundschaft mit Eurem Vater oder meiner Liebe zu Rom?‹ Ich muss Cesarini warnen!«
Nach dem Mittagessen und dem heißen Bad kleidete ich mich an. Schwarz war in Florenz die Farbe der Trauer - die nächsten Angehörigen des Toten trugen jedoch Rot. Ich steckte Lucas Siegelring und sein Testament ein und ging hinunter in den Hof, wo Tayeb mir in den Sattel half.
Ich wollte das Testament zu Cosimo bringen - Luca hatte seinen Freund und Vertrauten zum Testamentsvollstrecker bestimmt. Doch konnte ich meinen Vater überhaupt beerben? Oder würde ich mit ihm auch das Unternehmen verlieren, die kostbaren Bücher, den großen Palazzo, das Vermögen auf der Banca Medici, meine finanzielle Unabhängigkeit und meine Freiheit?
Ich war doch nur seine Tochter! Das Kind eines exkommunizierten Priesters. Und noch dazu illegitim, denn meine Eltern waren nie verheiratet. Meine nächsten Verwandten waren alle tot. Meine Mutter, Adriana Colonna, war vor vielen Jahren gestorben. Ihr Vater, der Conte Marcantonio Colonna, war vor acht Jahren hingerichtet worden. Seine Gemahlin, eine geborene Orsini, starb zwei Monate später. Und Lucas Eltern waren 1401 an der großen Pest gestorben, die die Toskana und Umbrien entvölkerte. Ihr Tod war der Grund, warum Luca sein Studium in Konstantinopolis aufgegeben hatte und in Santa Maria sopra Minerva in Rom in den Dominikanerorden eingetreten war.
Mein nächster Verwandter war mein Cousin, Kardinal Colonna, das Oberhaupt unserer Familie. Wenn er Lucas Erbe war, würde alles an die Kirche fallen. Denn sein Besitz war durch Kardinal Vitelleschi beschlagnahmt worden, als er aus Rom geflohen war.
Lucas ... mein Unternehmen in Händen des Papstes? Meine kostbaren Bücher als Grundbestand einer päpstlichen Bibliothek im Vatikan? O nein! Wenn ich alles verlor, blieb mir nur noch das Kloster! Lebendig eingemauert den Rest meines Lebens die prächtigen Brokatgewänder des Erzbischofs von Florenz besticken? Niemals!
Wieso hatte Luca sein Testament geändert? Was hatte er zwei Stunden lang mit Marco Vespucci besprochen? Die Beglaubigung seiner Unterschrift auf einem geänderten Testament hätte keine Viertelstunde gedauert! So schnell wie möglich musste ich mit Cosimo das Siegel des Testaments zerbrechen!
»Öffnet das Tor!«, rief ich dem Torwächter zu, während Alexios und sein Freund Tito auf ihre Pferde stiegen. Beide waren bewaffnet, um uns sicher zum Palazzo della Signoria zu eskortieren.
Ein Flügel des Bronzeportals wurde aufgeschoben. Als ich das Tor durchqueren wollte, bemerkte ich die Zettel, die am Portal angeklebt waren. Ich lenkte mein Pferd heran, riss einen ab und las ihn. Ein Kondolenzschreiben! Lucas Tod sprach sich bereits in den Straßen von Florenz herum. Auch die anderen angehefteten Briefe waren Beileidsbezeugungen von Florentiner Bürgern. Ich ließ sie am Portal hängen.
Der Nebel war dichter geworden. Die Kathedrale bot den mir in meiner Kindheit vertrauten Anblick - ohne Brunelleschis Kuppel, die in undurchdringliche Nebelschleier gehüllt war. Es war still auf dem Platz. Nur ein Mönch in schwarzem Habit stand zehn Schritte entfernt an der Backsteinfassade des südlichen Chors von Santa Maria del Fiore. Die Kapuze hatte er tief ins Gesicht gezogen. Als ich auf den Domplatz hinausritt, bekreuzigte er sich und sah auf.
Als ich mein Pferd zu ihm hinüberlenkte, zog er die Kapuze vom Kopf. »Ich habe für Luca gebetet«, murmelte er und senkte den Blick. Der Tod meines Vaters schien ihn getroffen zu haben.
Der Mönch kam mir bekannt vor. Sein blondes Haar, das wie ein goldener Heiligenschein sein Gesicht umgab, die strahlend blauen Augen. Ich war sicher, dass ich ihn schon einmal gesehen hatte! Während
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