Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
schwierig, bis in den zweiten Stock zu gelangen.«
»Ich weiß«, gestand ich. »Das war für mich immer der letzte Fluchtweg, falls eines Tages das Portal aufgebrochen und der Palazzo gestürmt wird. Während der Albizzi-Verschwörung bin ich auf diesem Weg zurückgekehrt. Das Tor war ja geschlossen!«
Tayeb kroch zu mir zurück. »Der Assassino, verkleidet als Mönch in weißem Habit, ist über diesen Sims bis zu Lucas Arbeitszimmet gelangt. Das Fenster stand wegen des Luftzugs für das Kaminfeuer einen Spaltbreit offen. Der Mörder hat den Fensterflügel aufgeschoben und ...« Leichtfüßig sprang Tayeb in den Raum. »... ist hereingekommen. Luca saß am Schreibtisch ...«
»Nein!«, widersprach ich. »Er stand dort drüben am Kamin. Ich habe einen versengten Fetzen meiner Nachricht aus Alexandria gefunden. Luca hat Briefe verbrannt. Er kam nicht mehr dazu, die angesengte Seite mit dem Schürhaken in die Flammen zu schieben, da er von hinten angegriffen wurde.«
Fröstelnd ging ich zum Kamin.
Tayeb folgte mir und hob den umgestürzten Lesesessel auf. Der Schürhaken, den Luca gestern Nacht als Waffe hätte benutzen können, hatte vorhin an der Wand neben der Feuerstelle gehangen. »Luca wurde von hinten angegriffen. Er hatte keine Zeit, zum Schürhaken zu greifen, um sich gegen den Assassino zu wehren. Mit aller Gewalt stieß er den Mönch gegen den Schreibtisch und versuchte ihm den Dolch zu entwinden. Bei dem Aufprall sind die Bücher vom Tisch auf den Boden gefallen.« Er wies auf die Folianten, die ich vorhin aufgehoben hatte. »Luca rang mit ihm, stolperte und stürzte zu Boden.« Tayeb blickte zu dem getrockneten Blutfleck auf den Terrakottafliesen.
»Und der Mörder verschwand, wie er gekommen war. Warum hat er Luca getötet?«
»Dein Vater war in Ferrara, um dem Papst von dem Evangelium zu erzählen. Vielleicht hat der Mönch das Arbeitszimmer durchsucht, um die Papyri zu finden.«
Ich sah mich im Raum um. Wo konnte Luca die Papyrusfetzen versteckt haben? Zwischen den Seiten eines Folianten auf seinem Tisch? In der Kassette aus Rosenholz? Oder ... mein Blick fiel auf die antike Amphore, die er aus Konstantinopolis mitgebracht hatte ... oder in einem Tonkrug, wo niemand sie vermuten würde, der nicht mit der Suche nach verschollenen Handschriften vertraut war?
Der Terrakottakrug lehnte in der vom Kamin abgewandten Ecke des Arbeitsraumes. Ich stellte ihn auf den Schreibtisch und hob den Deckel an. Zunächst konnte ich nichts erkennen. Erst als ich die Amphore schräg ins Licht hielt, sah ich die Papyri auf dem tönernen Boden. »Die Fragmente sind noch da!«, verkündete ich erleichtert. »Also hat Luca dem Papst nicht einen einzigen Fetzen des Evangeliums überlassen. Offenbar hat er die Fragmente nicht nach Ferrara mitgenommen.« Verwirrt blickte ich zu Lucas Notizzettel mit dem Logion. Hatte mein Vater dem Papst nur Abschriften gezeigt?
»Wer auch immer den Befehl zur Ermordung Lucas gegeben hat: Entweder wusste er nicht, dass das Evangelium nur aus Papyrusfetzen besteht, oder er hatte keine Ahnung von seiner Existenz. Denn es ist ja noch in seinem Versteck. Und unversehrt.«
»Dann ist Luca nicht wegen des Evangeliums ermordet worden ...«
»Scheint so.«
»... und nicht wegen seines Briefwechsels mit Lorenzo Valla und seines Besuches in Neapel, wo er mit ihm über die Konstantinische Schenkung reden wollte. Denn weder ist Lucas Arbeitszimmer durchwühlt worden, noch wurde die Rosenholzkassette mit seiner Korrespondenz aufgebrochen oder gestohlen.«
Tayeb nickte verwirrt.
»Alexios erzählte vorhin, dass gestern Nacht der blutverschmierte Brief auf Lucas Schreibtisch gelegen hatte. Jetzt ist er verschwunden!«
»Vielleicht hat Luca ihn ebenfalls verbrannt?«
»Nein, das glaube ich nicht. Jener Mordauftrag war ein Beweisstück, mit dem Luca sein Leben hätte schützen können, wenn er es dem Papst gezeigt hätte. Warum sollte er ihn verbrennen? Ich denke, dass der Mönch das blutige Pergament auf Lucas Tisch gefunden, die Schrift erkannt und den Brief mitgenommen hat, um ihn seinem Auftraggeber zurückzubringen.«
»Mit anderen Worten: Wir wissen nichts.«
»Und können nichts beweisen - weder den Mord an Luca noch das Attentat auf mich. Denn der Mönch ist geflohen, der Assassino liegt am Strand von Alexandria verscharrt, und der blutgetränkte Brief ist verschwunden.«
»Wie auch der Brief von Kardinal Colonna«, ergänzte Tayeb. »Alexios erwähnte, dass Prosperos Schreiben auf
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