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Der vergessene Strand

Der vergessene Strand

Titel: Der vergessene Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Peters
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stimmte.
    Und wenn sie nach einigen Stunden harter Arbeit gemeinsam auf den Stufen vor der Küche saßen, fühlte Amelie sich nicht mehr so einsam.
    Bei einer dieser Gelegenheiten fragte sie ihn nach den Postkarten. Sie hatte sie schon den ganzen Morgen in der Brusttasche ihrer Latzhose mit sich herumgetragen, und jetzt zog sie sie umständlich heraus. Jon verschlang gerade mit zwei Bissen ein gekochtes Ei.
    «Meine Mutter sagt, die stammen von meinem Vater.»
    Jons Blick streifte die Karten. Er wischte beide Hände an seiner Arbeitshose ab. «Wird dann wohl so stimmen», meinte er nur.
    «Ich dachte, du erzählst mir irgendwann mehr über ihn.» Amelie wartete ab, doch Jon schwieg verbissen. Das konnte er gut – sie mit seinem Schweigen zum Reden bringen.
    «Tu ich nicht», knurrte er.
    «Er ist immerhin dein Sohn.»
    «Er ist nicht mein Sohn, und ich werde dir nicht sagen, wo er ist.» Entschlossen stand Jon auf und reckte sich. «Muss jetzt weitermachen, die Tapeten kommen ja nicht von allein an die Wände.»
    «Was heißt das, er ist nicht dein Sohn?», rief Amelie hinter ihm her, aber Jon war schon im Haus verschwunden. Sie hörte ihn pfeifen; ein aggressives, fast trotziges Pfeifen, das ihre Stimme übertönte.
    Hier kam sie also keinen Schritt weiter. Sie verstand sich inzwischen mit ihrem Großvater, aber er war mindestens so verstockt wie ihre Mutter.
     
    Auf dem Heimweg machte sie im Supermarkt halt. Mathilda hatte sie gebeten, ein paar Kleinigkeiten zu kaufen.
    Als sie den kühlen Laden betrat, sah sie die schlanke, blonde Felicity, die in der Gemüseabteilung ihren Korb füllte, und sie wäre am liebsten sofort wieder umgekehrt. Zu spät: Felicity hatte sie schon entdeckt und rief ihren Namen.
    «Amy! Wie schön, dich hier zu treffen.»
    Sie ging so vertraut mit Amelie um, als wären sie alte Schulfreundinnen. Amelie lächelte gequält. «Hallo», sagte sie nur.
    «Wir haben dich schon vermisst», behauptete Felicity und wählte die Schale mit den reifsten Erdbeeren aus. «Dan meinte, du hast viel zu tun.»
    «Ich renoviere das Strandhaus meines Großvaters. Vielleicht bleibe ich länger in Pembroke.»
    Felicity schien sich darüber ehrlich zu freuen. «Das ist gut», meinte sie. «Pembroke ist ein feines Fleckchen Erde. Ich komme total gerne hierher zurück.»
    «Wo warst du denn in den letzten Wochen …?»
    Amelie packte Pfirsiche in einen Plastikbeutel. «Pass auf, da ist einer schon angeditscht», warnte Felicity sie. Dann fuhr sie fort: «Ich war zuletzt in Grönland. Wusstest du, dass es dort die weltweit höchste Selbstmordrate gibt? Es ist ein wunderschönes Land, aber die Inuit scheinen nicht glücklich zu sein. Irgendwie … Ich wollte ihrem Elend eine Stimme geben, aber ich fürchte, der Film wird zu deprimierend, den will nicht mal die BBC .»
    «Du bist Dokumentarfilmerin?»
    «Ja, hat Dan dir das nicht erzählt?»
    Stumm schüttelte Amelie den Kopf.
    Er hat mir gar nichts über dich erzählt, hätte sie Felicity am liebsten an den Kopf geworfen. Kein Wort von einer Frau mit flachen, weißen Sandalen, gebräunten Beinen und einem roten Tupfenkleid. Genauso wenig von diesem hinreißenden Lächeln und dieser netten, offenen Art.
    Es fiel ihr schwer, Felicity nicht zu mögen.
    Sie schlenderten durch den Markt, und während sie nebenbei ihre Einkäufe in die Körbe packten, erzählte Felicity von einem Film über die Naturvölker in Zentralafrika, über eine Reise in die Takla Makan und darüber, wie sie drei Monate in Japan die Spuren des Tsunamis dokumentiert hatte.
    «Ich sehe viel, aber ich bin jedes Mal froh, wenn ich die schroffen Felsen von Pembrokeshire wiedersehe. Oder wenn ich einfach ein paar Wochen nichts sehe außer den Menschen hier mit ihren kleinen, harmlosen Erste-Welt-Problemen. Nichts für ungut», fügte sie hinzu. «Dan meinte, du machst grad eine schwere Zeit durch. Ich wollte dir damit auf keinen Fall zu nahe treten.»
    «Meint er das? Hm», machte Amelie.
    «Komm doch mal zum Abendessen zu uns», schlug Felicity vor. Inzwischen standen sie an der Kasse an. Amelie wusste nicht, ob sie erleichtert sein sollte oder enttäuscht. Mit Felicity hätte sie sich unter anderen Umständen gern länger unterhalten.
    «Mal sehen», sagte sie unbestimmt.
    Sie bezahlte ihre Einkäufe nach Felicity, die geduldig wartete. Als sie aus dem Supermarkt traten, umarmte sie Amelie spontan. «Schön, dich mal wiedergesehen zu haben. Du warst neulich abends irgendwie verschreckt, ich hoffe,

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