Der vergessene Strand
Putzsachen mit. Sie fragte Cedric, wie man wohl alte Möbel am leichtesten loswurde. Wo man eine gute Matratze und Bettzeug bekam. Was Strom kostete und was sie beachten müsste, wenn sie dort draußen wohnen wollte.
«Bleibst du für immer hier?», fragte Mathilda eines Abends. Sie hatte Amelie geholfen, im Baumarkt Farbe zu kaufen, die sie jetzt zum Häuschen transportierten. Sie fuhr den kleinen Kastenwagen sehr konzentriert und trug eine riesige Brille auf der Nase. Bei ihrem Anblick musste Amelie lachen. Ihre neue Freundin hatte eine frappierende Ähnlichkeit mit einer Eule.
«Ich weiß es nicht», gab Amelie offen zu. Verlockend war die Vorstellung ja, zumal sie immer mehr das Gefühl hatte, hierherzugehören. «Zumindest bleib ich diesen Sommer.»
«Das ist gut. Im Sommer ist es hier schön.»
Sie erreichten das Haus. Davor stand ein großer, natogrüner Geländewagen. «Erwartest du Besuch?»
Amelies Herz schlug bis zum Hals, als sie aus dem Wagen stieg. «Nein.»
Wenige Sekunden lang hoffte sie, dass es vielleicht Dan war, der nach ihr suchte. Sie hatte ihn seit über einer Woche nicht gesehen. Und sie vermisste ihn.
Vielleicht vermisste sie auch einfach nur, dass sie sich bei ihm so gut aufgehoben gefühlt hatte.
Von Michael hatte sie nichts gehört, aber da hielt sich das Vermissen in Grenzen. War das gut oder schlecht? Oder war es einfach vorbei?
Die Haustür stand offen. Dann konnte es nicht Dan sein, denn er hatte keinen Schlüssel.
«Hallo?» Mit Tapetenrollen bepackt, betrat sie die Küche. Die Arbeitsfläche war sauber, der Herd von der Wand abgerückt. Dahinter strahlendes Weiß. Jemand hatte sich bereits darangemacht, das Häuschen zu renovieren.
«Jon?»
«Im Wohnzimmer!»
Sie legte im Esszimmer die Tapetenrollen auf den Tisch, die sogleich in alle Richtungen davonhüpften. Dann folgte sie seiner Stimme.
Jon stand vor der Terrassentür. «Das trifft sich gut, dass ihr kommt. Ich wollte gerade die Tür aushängen. Hilfst du mal?»
Mathilda ging ihm sofort zur Hand. Gemeinsam mit Jonathan trug sie die Terrassentür in den Garten und legte sie auf zwei Böcke. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. «Hab gehört, du bist wieder da», sagte er. «Hast gar nicht Hallo gesagt.»
«Ich wusste nicht, ob es dir recht ist, wenn ich Hallo sage.»
«Wir sind doch eine Familie», erwiderte er.
Sie lächelte.
«Woher wusstest du, dass ich wieder hier bin?»
«Liegt in der Küche.»
Amelie ging zurück in die Küche. Auf der Anrichte lag ein Umschlag, an Jon adressiert. Sie öffnete ihn. Eine Karte fiel heraus, und sie erkannte die Handschrift ihrer Mutter.
Jon, das hier gehört Amy. Sie wird es haben wollen, und mit mir spricht sie nicht mehr. S.
Es waren die Postkarten ihres Vaters. Amelie holte tief Luft. Durch ihre Familie ging ein tiefer Graben, und sie stand jetzt offensichtlich auf der anderen Seite. Leider noch immer so ahnungslos wie zuvor.
«Kommst du?» Mathilda schleppte Farbeimer und die restlichen Tapetenrollen ins Haus. Sie wollten die beiden Zimmerchen unterm Dach als Erstes renovieren, danach noch das Schlafzimmer und zum Schluss die Wohnräume. Dafür mussten sie die Tapeten abreißen, aber das war gar nicht schwer. Wenn man sie mit Wasser einsprühte, fielen die Tapeten schon fast freiwillig von den Wänden. Amelie stürzte sich mit Feuereifer in die Arbeit. Nach einer Weile verabschiedete sich Mathilda, weil sie zurück in die Pension musste.
Jonathan war tatsächlich hier, weil er helfen wollte. Er schliff die Türen und Fensterrahmen ab, um sie anschließend rot zu lackieren. Die Außenwände müsse man mal wieder tünchen, aber das hätte Zeit, erklärte er ihr. Vor allem musste das Haus winterfest gemacht werden. Er schlug vor, bei nächster Gelegenheit noch mal in den Baumarkt zu fahren und neue Fußböden für die Schlafräume auszusuchen.
Kein Wort über die Postkarten. Er war hier, um zu helfen. Damit sie später hier leben konnte. Weil sie hierhergehörte.
Sie war ihm dankbar. Weil er half. Weil er die etwas kindliche Tapete für eines der Zimmer unter dem Dach und ihre Teppichboden-Auswahl unkommentiert ließ. Weil er die schweren Sachen schleppte und ihr zeigte, wie man tapezierte.
Drei Tage werkelten sie, oft war Jonathan allein dort draußen, während Amelie die Vormittage im Archiv verbrachte. Sie war froh, ihn zu haben – wäre Jonathan nicht gewesen, hätte sie das Gefühl gehabt, ganz allein auf dieser Welt zu sein, obwohl das gar nicht
Weitere Kostenlose Bücher