Der vergessene Strand
das lag nicht an mir.»
Sie winkte zum Abschied, brauste mit dem feuerroten Mini Cooper vom Parkplatz und hupte sogar, ehe sie um die nächste Kurve verschwand. Amelie blickte ihr nachdenklich hinterher.
Verschreckt traf es vielleicht ganz gut. Und ja, es lag an Felicity – aber Amelie hatte es nicht übers Herz gebracht, ihr das so zu sagen.
Ja, tut mir leid. Eigentlich bin ich gerade dabei, mich in deinen Mann zu verlieben, aber du musstest ja unbedingt auftauchen und alles kaputt machen.
Nein, das war kaum die Antwort, die Felicity gern hören würde.
«Und wenn du einfach mal beim Standesamt nachfragst?», schlug Mathilda vor.
Amelie rührte gerade den Waffelteig für den sonntäglichen Ansturm im Café, während Mathilda drei Torten anschnitt. Überrascht blickte sie auf.
«Wenn deine Eltern hier geheiratet haben, müsstest du beim Standesamt doch fündig werden, oder? Außerdem müssten sie das Original deiner Geburtsurkunde haben. Auch dort müsste dein Vater genannt sein, nicht wahr?»
Auf die Idee war sie noch gar nicht gekommen, und wenn sie ehrlich war, war ihr das ein bisschen peinlich. Ausgerechnet sie als Historikerin musste doch wissen, wie man die Spuren der Vergangenheit nachzeichnete! Amelie musste über sich selbst lachen.
«Dass ich nicht eher darauf gekommen bin!»
«Dann klärt sich vielleicht auch, was es mit der Geburtsurkunde aus Berlin auf sich hat.»
Das mit der Berliner Geburtsurkunde war auch so eine Sache. Sie war nicht kurz nach Amelies Geburt ausgestellt worden, sondern gut fünf Jahre später, unmittelbar nach jenem Umzug nach Berlin. Ein Anruf beim Standesamt hatte immerhin so viel zutage gebracht, dass es sich um eine deutsche, beglaubigte Kopie des walisischen Originals handelte. Für deutsche Kinder, die im Ausland geboren wurden, konnte man jederzeit eine deutsche Ausgabe der Urkunde beantragen. Amelie hatte sich diese Information gemerkt. Wer weiß, ob sie die nicht auch irgendwann brauchte?
Im Café war an diesem Nachmittag viel los, und Amelie half gerne im Service aus. Mathilda ließ sie für wenig Geld in dem Zimmerchen wohnen, bis das Häuschen am Strand hergerichtet war, und dafür revanchierte Amelie sich gerne. Sie hatte die Tische mit kleinen Wildblumensträußchen in Tonkrügen geschmückt, die sie in der Anrichte im Esszimmer des Strandhauses gefunden hatte.
Weil so viel los war, bemerkte sie erst spät, dass sie hinten in der Fensternische drei altbekannte runzlige Gesichter unter lila Löckchen anlächelten – Ruthie und ihre Freundinnen waren auch da.
«Das ist aber schön, Sie mal wieder hier zu sehen, meine Liebe», sagte Ruthie, als Amelie zu ihnen an den Tisch kam. «Bleiben Sie für länger?»
Amelie lächelte. Bestimmt hatten die drei schon davon gehört, dass Jonathan und sie das Strandhaus hergerichtet hatten, und waren nur hergekommen, um ihre unstillbare Neugier zu befriedigen.
Aber Ruthie hatte ihr vor ein paar Wochen sehr weitergeholfen, deshalb wollte sie nicht zu zickig sein.
«Ich weiß es noch nicht», meinte sie. «Aber bis das Buch fertig ist, bestimmt.»
Die beiden Minipli-Schildkröten-Schwestern blickten einander an, und dann erklärte Rosalie – oder war es Edith? –: «Dann wissen Sie es gar nicht.»
«Was soll ich wissen?», erkundigte Amelie sich höflich. Diese Waliser waren wirklich ein stures Volk. Redeten gern, aber meist um den heißen Brei herum.
«Edith, nicht.» Ruthie schüttelte mahnend den Kopf. «Die arme Amy hat doch schon genug um die Ohren. Verstehen Sie sich eigentlich jetzt besser mit Jonathan?»
«Wir kommen klar.»
«Und die Tagebücher von Franny haben Sie weitergebracht?», bohrte Ruthie nach.
Mit den Tagebüchern hatte Amelie zuletzt kaum mehr gearbeitet. Was interessierte sie, welche Kinderkrankheiten der Nachwuchs vom Dienstmädchen Annes sieben Jahre nach deren Aufenthalt in Pembroke plagten? Sie wich der Frage daher aus und erklärte, es müsse ja noch viel Material gesichtet werden, bis sie sich ein abschließendes Urteil erlauben könne, außerdem habe sie erst kürzlich das ganze Konzept ihres Buches völlig neu aufgestellt und so weiter. Sie merkte, wie wenig ihre Antwort den drei älteren Damen gefiel. Sie wiegten die Köpfe, und Ruthie schnalzte unwillig mit der Zunge.
«Aber ich werde mich möglichst bald wieder daranbegeben», versicherte Amelie. «Die Tagebücher haben mir sehr geholfen.»
«Es soll ja noch mehr geben. Aus der Zeit vor 1903 .»
«Ja, das erwähnten
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