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Der vergessene Strand

Der vergessene Strand

Titel: Der vergessene Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Peters
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Gesicht. Eine hagere Gestalt, dunkle Haare, Vollbart. Finsterer Blick, ein dunkelgrüner Rollkragenpullover.
    «Mein Bruder Reginald.» Jonathan runzelte die Stirn, als wunderte er sich, dieses Foto zu sehen. Es war an Amelies viertem Geburtstag aufgenommen worden, im Wohnzimmer des Strandhauses. Die Erwachsenen standen im Hintergrund, mit Bowleschälchen in der einen, Zigarette in der anderen Hand. Ihre Mutter trug ein weißes Kleid mit blauen Tupfen und sah wunderschön aus. Ihren Vater konnte Amelie auf keinem der Fotos entdecken. Vielleicht hatte er sie aufgenommen.
    Sie ließ sich Zeit beim Betrachten der Alben, und Jonathan drängte sie nicht. Er kochte eine zweite Kanne Kakao, stellte eine Packung Kekse auf den Tisch und sagte nichts, als sie mit dem ersten Album von vorne anfing. «Ich kann mich nicht erinnern», flüsterte sie schließlich.
    Weil sie es immer noch nicht fassen konnte. Was konnte so schlimm sein, dass sie die ersten fünf Jahre ihres Lebens so komplett hatte verdrängen können?
    «Ich sagte schon, das kann auch ein Segen sein.» Jonathan stippte den Keks in seinen Kakao. «Wenn du so weit bist, können wir gleich los.»
    «Ja, gerne.» Amelie trank den Kakao aus und stand auf. Sie wartete ungeduldig neben dem Küchentisch, während Jonathan in aller Ruhe austrank. Dann erhob er sich schwerfällig, räumte die Becher ins Spülbecken und ließ heißes Wasser darüberlaufen. Er trat in den Flur, warf sich eine Strickjacke über und nahm das Taschenmesser aus der Hosentasche, als sie vor die Tür traten.
    Die Stockrosen waren über Nacht erblüht, und das zarte Rosa ihrer Blüten im dunklen Grün der Ranken sah wunderhübsch aus. Jonathan klappte das Messer auf und schnitt nacheinander zwei Blüten ab, von denen er Amelie eine reichte.
    «Die mag er», sagte er leise.
    Amelie nahm die Stockrose und schnupperte daran. «Weiß er, dass wir kommen?», fragte sie aufgeregt. «Sollten wir nicht lieber Bescheid sagen?»
    «Er weiß Bescheid.»
    Sie liefen die Main Street entlang Richtung Kirche. Davor führte ein Törchen auf den kleinen Friedhof, über den Amelie schon früher häufiger gegangen war, weil er mitten in der Stadt eine Oase der Ruhe war. Weil man links und rechts die verwitterten, alten Gräber sah und voraus einen Spielplatz, auf dem die Kinder des nahen Kindergartens vormittags tobten. Jetzt lag der Friedhof still im Schatten, und die Abendsonne fiel schräg und golden auf die Gräberreihen.
    Statt geradeaus durch das zweite Törchen den Friedhof wieder zu verlassen, wandte sich Jonathan nach links und stapfte einen der Kieswege entlang. Amelie verlangsamte ihre Schritte. In ihr stieg eine schreckliche Szene auf.
     
     
    Sie ist wieder fünf und geht an der Hand ihres Grandpas den Kiesweg entlang. Sie sind allein. Mom ist weg und Daddy schon seit langer Zeit. Vor ihnen tragen vier Männer in schwarzen Anzügen einen kleinen, weißen Sarg. Aber Amy mag nicht weitergehen. Grandpa hat ihr erklärt, was da geschieht, aber sie hat es bisher nicht glauben wollen. Dass man die Leute in Särge steckt und die dann in der Erde vergräbt. «Was passiert dann mit den Leuten?», hatte sie Grandpa und jeden gefragt, dem sie in den letzten Tagen begegnet war.
    Und keiner hatte eine befriedigende Antwort gewusst. Die meisten hatten nur betreten zu Boden geschaut, Onkel Reginald hatte ihr über den Kopf gestreichelt und geseufzt. Und die alte Frau, die immer zu Grandpa kam und den Haushalt führte, hatte ihr erklärt, Patrick sei jetzt im Himmel bei den Engeln und schaue auf sie herab.
    Amy hatte widersprochen. Das könne ja gar nicht sein. Wenn Patrick in einer Kiste lag, konnte er nicht gleichzeitig im Himmel sein.
    Aber vielleicht war er schon längst im Himmel, und sie wussten es nur nicht. Vielleicht lag er gar nicht in der Kiste. Sie sah auch so leicht aus, diese Kiste.
    Der Pfarrer schritt voran, und als sie das Grab erreichten, schob Grandpa Amy nach vorne. Seine Hände lasteten zentnerschwer auf ihren Schultern, und die Stockrosen, die sie vorhin, als sie aus dem Haus traten, abgerissen hatte, rochen süßlich und schwer in ihren schwitzigen Händen. Die Blütenblätter waren ganz zerdrückt.
    Der Pfarrer wartete, bis die vier Männer den weißen Sarg hinabgelassen hatten. Erst dann forderte er alle auf, ein letztes Mal für die Seele des kleinen Patrick Bowden zu beten, der viel zu früh aus ihrer Mitte gerissen worden war.
    Amy drückte die Stockrosen gegen ihre weiße Bluse, und sie

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