Der vergessene Strand
perfekt war, wie es war. Und in den Sommermonaten, wenn er daheim war, schöpfte er Kraft für die dunklen Wintermonate in Cambridge. Jeden Tag waren sie mit den Kindern am Strand. Patrick und Amy lernten früh schwimmen, sie waren auch an den gar nicht so seltenen Regentagen draußen und wollten immer nur ins Wasser. Sobald Amy laufen konnte, wackelte sie hinter dem älteren Bruder her, und er sah mit großem Stolz, wie seine Kinder heranwuchsen. Redete sich ein, dass Susan ruhiger geworden sei, seit Amy da war. Sie dachte nicht mehr ständig darüber nach, wie sich ihr Leben ändern müsse, damit es «richtig gut» war.
Und dann flog alles auf.
Vielleicht wäre es nicht passiert, wenn David nicht den Reizen einer Studentin erlegen wäre. Vielleicht wäre er dann verschont geblieben. Aber Fiona fegte wie eine Naturgewalt über ihn hinweg, sie nahm sich, was sie wollte – ihn, nur ihn! –, und als es ihr mit ihm langweilig wurde und er nicht mit sich spielen ließ, wie sie es gewohnt war, ließ sie ihn wieder allein, und er kroch, vom schlechten Gewissen geplagt, zu Susan und beichtete ihr alles.
Was im Nachhinein klang, als habe dieses Mädchen, gerade knapp über zwanzig, alle Schuld, war in Wahrheit sein Fehler. Er hatte sie zu nah an sich herangelassen, weil er spürte, dass sie ihn wollte. Weil Susan und er längst wieder zu jener stillen Übereinkunft zurückgekehrt waren, dass ihre Ehe nur tagsüber stattfand, nicht aber nachts im gemeinsamen Schlafzimmer. Weil er, und deshalb schämte er sich am meisten, nun einmal Bedürfnisse hatte und diese von Fiona aufs vortrefflichste gestillt wurden.
Sommer 1984 . Es war heiß. Morgens liefen die Kinder mit einer Decke und einem Korb mit Leckereien zum Strand; Susan ließ sie einfach ziehen, obwohl David immer davor warnte, es könne doch etwas passieren. Aber Patrick und Amy gingen nie weit ins Wasser, und Susan folgte ihnen meist eine halbe Stunde später mit dem Sonnenschirm und einem Buch.
Erst am Vorabend war er aus Cambridge gekommen, hatte den Koffer und die schwere Aktentasche abgestellt und seine Frau in seine Arme gezogen. Jetzt, dachte er, begannen die Wochen des Jahres, in denen sie wieder als richtige Familie zusammenleben konnten. Er wusste noch nicht, dass er Susan von Fiona erzählen würde, bis er am Morgen seines ersten Urlaubstages neben ihr in der Küche stand.
«Da war was mit einer Studentin», hörte er sich sagen.
Nicht mal, weil sie irgendwie unfreundlich zu ihm gewesen wäre oder weil er frustriert war. Sondern allein deshalb, weil er keine Geheimnisse haben wollte. Er glaubte, die Ehe werde das aushalten, sie hatten zwei wunderbare Kinder und waren glücklich, so was warf man nicht weg, weil er sich einmal geirrt hatte.
Letztlich war das sein großer Irrtum: zu glauben, dass sie glücklich waren und schon überstehen würden, was er ihnen angetan hatte. So leicht war es nämlich nicht, und er lernte es auf die schmerzhafte Art.
Zuerst sagte Susan nichts. Sie musterte ihn, fragend und nicht mal besonders zornig. Als wollte sie ergründen, wie wichtig ihm die Sache war. Ob es etwas Dauerhaftes war oder nur eine Laune.
Dann sagte sie: «Macht doch nichts, das passiert eben.»
So gleichgültig und nebenbei, dass es ihm ins Herz schnitt. So was passierte? Wem? Ihm nicht, jedenfalls nicht in den Jahren zuvor, und er hoffte, dass es ihr nicht auch schon passiert war. Aber was wusste er schon, sie war unter der Woche allein und konnte tun und lassen, was sie wollte, ohne dass er mitbekam, wohin sie ging und mit wem.
«Mehr hast du dazu nicht zu sagen?»
Sie zuckte mit den Schultern. Nein, hatte sie nicht.
Natürlich bohrte sich das Misstrauen tief in ihn hinein. Er fing an, zu beobachten. Fragen zu stellen. Sich, aber auch Susan. Sie antwortete ausweichend, so habe sie das nicht gemeint, es sei nur so dahergesagt. Natürlich müssten sie darüber reden, was passiert sei. Er habe schließlich eine Affäre gehabt. Sofort wiegelte David ab. So richtig sei das ja keine Affäre gewesen, er habe eben einen schwachen Moment gehabt, das passiere den besten Männern, oder nicht?
«Liebst du sie?», hatte Susan wissen wollen, und als er das verneinte und beteuerte, er liebe nur sie, hatte sie gemeint, dann sei doch alles in Ordnung, und sie verstehe gar nicht, wieso er sich deshalb so anstelle.
Und dann kam der zweite schwache Moment in Susans Leben. Beim ersten Mal hatte sie Davids Heiratsantrag angenommen, völlig überrumpelt von seiner
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