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Der vergessene Strand

Der vergessene Strand

Titel: Der vergessene Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Peters
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kennen, der nichts von der Strenge hatte, die Susan immer beschrieben hatte. Die beiden verstanden sich auf Anhieb sehr gut. Am Abend der Hochzeit saßen sie noch beisammen und genossen einen teuren, alten Whiskey, den Davids Vater zur Feier des Tages spendiert hatte.
    «Es erstaunt mich, dass sie dich genommen hat», erklärte Eugen unumwunden. «Hätte ich ihr nicht zugetraut.»
    David lächelte. «Mich hat es am allermeisten erstaunt», erklärte er.
    «Mich freut es. Sie hätte kaum einen feineren Kerl finden können.» Danach schwieg Eugen lange, als wüsste er nicht, ob er seinem Schwiegersohn noch mehr verraten sollte. Er hätte zum Beispiel erzählen können, wie Susan sich schon als frühreife Dreizehnjährige in ihren Englischlehrer verliebt hatte, der rund dreißig Jahre älter war als sie. Den sie bis zu seinem Haus verfolgte, wo sie stundenlang auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand und das Kommen und Gehen auf dem Grundstück beobachtete. Wie sie später, mit sechzehn, ausgerissen war, um mit einem Landschaftsmaler zusammenzuleben, ebenfalls dreißig Jahre älter als sie. Eugen verstand nicht viel von der Psyche, er war ein schlichter Mann und die meiste Zeit unterwegs, er war Vertreter für Baumaschinen und fuhr unter der Woche durch die ganze Republik. An den Wochenenden war er wieder daheim in Berlin, manchmal auch nicht, und seine Tochter litt unter seiner Abwesenheit mehr als seine Frau. Das alles hätte er sagen können, aber er wusste nicht, was das für David und Susan bedeutete.
    Er redete sich einfach ein, diese frühreife Phase sei vorbei, diese Zeit, in der sich Susan deutlich ältere Männer suchte. Man musste ja nur sehen, wie sie mit Davids Onkel Reginald umging, einem feinen Kerl übrigens, aber da blieb sie auf Distanz. Mit Davids Vater flirtete sie ein wenig, aber das war okay, fand Eugen. Sie übertrieb es nicht, und Jonathan wusste ihre Versuche zu parieren.
    Viele Katastrophen werden heraufbeschworen, weil man zu wenig redet. Und die Katastrophe, die sich in Davids und Susans Ehe anbahnte, war genau so ein Fall.
    An diesem Abend kroch David wieder zu Susan ins Bett. Sie schliefen ein letztes Mal in seinem Jugendzimmer, am nächsten Tag würden sie das Strandhaus beziehen. Lag es daran, dass das Haus mit der blauen Tür bis in den letzten Winkel mit Schlafgästen gefüllt war? Oder war Susan plötzlich so zurückhaltend, weil sie Angst um das Kind hatte? Jedenfalls hatte sie in der Nacht keine Lust, sich zu lieben, und in der folgenden ebenso wenig. Und bald gewöhnte David sich daran, dass sie nicht wie ein junges Ehepaar zusammenlebten, sondern wie eines, das den Körper des anderen schon zur Genüge erkundet hatte.
    Patrick wurde geboren und war Davids ganzes Glück, sein großer Stolz. Dieses Kind machte sein Leben vollständig, und es verstärkte seine Liebe zu Susan noch. Immer wieder beruhigte er sich: Dass sie so abwesend und erschöpft wirkte, lag nicht an ihm. Sie rieb sich nicht in der Ehe auf, sondern kümmerte sich aufopferungsvoll um das Baby. Während er nachts schrieb, schuckelte sie den Kleinen, der nicht schlafen wollte, und wenn David tagsüber schlief, ging sie lange mit ihm spazieren. Später dachte David, dass er vielleicht zu wenige Fragen gestellt hatte. Wenn sie atemlos und zerzaust zurückkam, zum Beispiel. Oder ihre Augen gerötet waren und sie sich mit Heuschnupfen herausredete, obwohl sie darunter nie gelitten hatte. Sie nahm ihm alles ab, und er glaubte, so sei nun mal ihre Rollenverteilung, und alles werde gut. Außerdem war sie nachts wieder so anschmiegsam wie vor der Hochzeit und der Schwangerschaft; und ja, das hatte er vermisst. Als sich ein Jahr nach Patricks Geburt das zweite Kind ankündigte, schloss er seine Doktorarbeit gerade ab. Seine Suche nach einer Stelle hatte bald Erfolg, doch er musste nach Cambridge ziehen und Susan unter der Woche allein lassen, mit zwei kleinen Kindern und einem Nebenjob.
    Er tat das nicht gern. Nicht weil er ihr etwa misstraute, sondern weil er sie vermisste. Weil es für ihn schwer war, allein in einer winzigen Wohnung in der Nähe des Campus zu sitzen, den Avancen seiner jungen Studentinnen zu widerstehen und von Susan nur an den Wochenenden das wenige an Zeit zu haben, was sie ihm geben konnte. Denn mit zwei kleinen Kindern war sie noch erschöpfter, obwohl seine Familie versuchte, sie beide zu entlasten, wo es ging.
    Seine Familie, die auch ihre Familie geworden war. Er redete sich ein, dass das Leben

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